Der Impfzwang in unserem Nachbarland Österreich und in anderen Ländern sorgt derzeit für grosses Aufsehen in der Schweiz sowie auch International. Wäre ein Impfzwang in rechtlicher Hinsicht auch in der Schweiz zulässig?
Rechtlich gesehen wird zwischen Impfzwang und Impfobligatorium unterschieden. Beim Impfobligatorium ist die Impfung obligatorisch. Beim Impfzwang handelt es sich um eine Form des Impfobligatoriums, wobei bestimmte Sanktionen angedroht werden, wenn man sich nicht impfen lässt. In Österreich wird beispielsweise eine Busse von bis zu 3’600 Euro angedroht, wenn man ungeimpft ist.
Ein Impfzwang tangiert das Grundrecht des Rechts auf persönliche Freiheit und geistige Unversehrtheit gemäss Art. 10 Abs. 2 BV, wobei der Einzelne vor staatlichen Eingriffen in seine persönliche Freiheit sowie in seine körperliche Unversehrtheit geschützt wird.
Eine Einschränkung von Grundrechten ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 36 BV zulässig. Danach bedürfen Einschränkungen einer gesetzlichen Grundlage, wobei schwerwiegende Einschränkungen im Gesetz selbst vorgesehen sein müssen (Abs. 1). Die polizeiliche Generalklausel besagt, dass Fälle ernster, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahren keine gesetzliche Grundlage benötigen (Abs. 1). Als weitere Voraussetzung müssen Einschränkungen von Grundrechten durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein (Abs. 2). Ausserdem müssen die Einschränkungen stets verhältnismässig sein (Abs. 3). Der Kerngehalt eines Grundrechts ist immer unantastbar (Abs. 4). Als Kerngehalt wird der zentrale und unverzichtbare Teil eines Grundrechts bezeichnet. Haben Sie Fragen in diesem Bereich, stehen unsere Anwälte und Anwältinnen für Staat und Verwaltung gerne für Sie zur Verfügung.
Gesetzliche Grundlage (Art. 36 Abs. 1 BV)
Ein Impfzwang stellt eine schwerwiegende Einschränkung dar, weshalb der Impfzwang in einem Gesetz selbst vorgesehen sein muss. In der Schweiz könnten Art. 22 und Art. 6 Abs. 2 lit. d des Epidemiengesetz die gesetzliche Grundlage bilden. Laut Art. 22 EpG können die Kantone Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, falls eine erhebliche Gefahr besteht. Art. 22 EpG stellt somit nur eine gesetzliche Grundlage für ein Impfobligatorium der Kantone dar und kann nur für bestimmte Personen angeordnet werden. Gestützt auf dieses Gesetz kann folglich kein schweizweiter Impfzwang eingeführt werden.
Art. 6 Abs. 2 lit. d EpG besagt, dass der Bundesrat nach Anhörung der Kantone eine Impfung bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären kann. Der Bundesrat kann demnach auch nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen ein Obligatorium anordnen. Ein Impfobligatorium wäre zulässig, ein Impfzwang nicht. Es besteht somit keine gesetzliche Grundlage in der Schweiz für einen Impfzwang, weshalb die Prüfung der Voraussetzungen von Art. 36 BV abgebrochen werden kann. Es müsste ein neues Gesetz erlassen werden, das den Impfzwang beinhaltet, um als gesetzliche Grundlage der Einschränkung der persönlichen Freiheit und körperlichen Unversehrtheit zu dienen.
Vorübergehender Impfzwang
Um ein neues Gesetz erlassen zu können, kann das Parlament gestützt auf Art. 165 Abs. 1 BV ein dringliches, befristetes Bundesgesetz erlassen, falls dieses keinen Aufschub duldet. Das Gesetz würde sofort in Kraft treten, ohne dass die 100-tätige Frist des Referendums abgewartet werden müsste. Das Referendum könnte nur nachträglich ergriffen werden, nachdem das Gesetz schon in Kraft ist. Dass das Parlament diesen Schritt einleitet, ist aber eher unwahrscheinlich. Dafür müsste die Pandemie weit schlimmere Ausmasse annehmen. Dies könnte der Fall sein, wenn die Spitäler gänzlich überbelastet sind und sich nicht mehr erholen oder die Anzahl der Todesopfer weit steigen würde.
Impfzwang über den normalen Gesetzgebungsprozess
Der Bund könnte auch über den normalen Gesetzgebungsprozess ein Gesetz erlassen, das einen Impfzwang beinhaltet. Die Dauer eines Gesetzgebungsprozesses kann davor kaum abgeschätzt werden. Ziemlich sicher ist jedoch, dass, falls der Gesetzgeber solch ein Gesetz erlassen will, ein Referendum ergriffen wird, da bereits gegen das Covid-19-Gesetz zwei Mal ein Referendum ergriffen wurde. Es kann hingegen von einer Dauer von ein bis zwei Jahren gerechnet werden, bis das Gesetz in Kraft tritt. Bis dahin könnte ein Impfzwang gar nicht mehr nötig sein, weshalb dieser Weg nicht sinnvoll erscheint. Daraus lässt sich schliessen, dass ein Impfzwang in der Schweiz mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht umgesetzt werden kann.