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Die polizeiliche Generalklausel – staatliches Handeln ohne Gesetz

Gemäss Art. 5 der Bundesverfassung soll das Recht stets Grundlage und Schranke des staatlichen Handelns sein. Doch nicht immer kann jede Situation von den Gesetzgebern vorhergesehen werden und explizit in einer Verfügung oder einem Gesetz geregelt werden. Was soll der Staat nun in einer konkreten Gefährdungssituation tun, wenn er rechtlich keine Möglichkeit zu handeln hat aber ein Tätigwerden zum Schutz der Sicherheit notwendig wird? Eine Ausnahme von Art. 5 BV ist die polizeiliche Generalklausel. Sie ermöglicht ein Handeln ohne gesetzliche Grundlage. Ein Teil der Lehre argumentiert, dass die polizeiliche Generalklausel selbst die gesetzliche Grundlage darstellt, womit es sich um eine unbestimmt formulierte verfassungsrechtliche Ersatzgrundlage handle. Damit der Staat gestützt auf die polizeiliche Generalklausel trotzdem agieren darf, müssen fünf Kriterien kumulativ erfüllt sein.

1. Keine geeignete gesetzliche Grundlage vorhanden:
Damit die polizeiliche Generalklausel Anwendung finden kann, darf das Gesetz keine Grundlage für das Handeln des Staates vorsehen. Das Recht gibt ihm keine Mittel, um konkret in einer bestimmten Situation eingreifen zu können.

2. Gefährdung eines fundamentalen Rechtsgutes:
Damit die polizeiliche Generalklausel angerufen werden kann, muss ein besonderes Rechtsgut gefährdet sein. Die Lehre spricht hierbei häufig von Polizeigütern, worunter die öffentliche Ordnung & Ruhe, Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Treu & Glauben im Geschäftsverkehr fallen. Umstritten ist die Aufrufung der polizeilichen Generalklausel in Ausnahmesituationen wie in der Corona-Pandemie, wobei nicht klar ist, ob die Gefährdung der Volkswirtschaft als fundamentales Rechtsgut eingestuft werden kann.

3. Schwere und unmittelbare Gefahr:
Als weitere Voraussetzungen muss die ausgehende Gefahr schwer sein und unmittelbar. Die Gefahr muss somit direkt bevorstehen oder bereits eingetreten sein.

4. Zeitliche Dringlichkeit:
Damit das Kriterium der zeitlichen Dringlichkeit erfüllt wird, darf der Staat keine Möglichkeit haben in angemessener Zeit auf die konkrete Lage in gesetzgeberischer Form reagieren zu können. Die Situation erlaubt kein Zuwarten und erfordert sofortiges Handeln.

5. Atypische Gefährdungslage:
Als jüngstes und umstrittenstes Kriterium sieht das Bundesgericht die Unvorhersehbarkeit einer Situation als notwendiges Kriterium an. So darf die Gefährdungslage nicht bereits im Vorfeld erwartet worden sein. Mittels dieses Arguments soll ein leichtfertiges Unterwandern des Art. 5 BV verhindert werden. Erlaubt soll eine Aufrufung der PGK nur sein, wenn eine tatsächliche Notsituation vorliegt und nicht bei einem bewussten Schweigen des Gesetzgebers zu jener Situation. Dass dieses Kriterium umstritten ist, liegt vor allem an zwei Schwächen des Arguments. Erstens ist es zu bezweifeln, ob es überhaupt noch unvorhersehbare schwere Gefährdungssituationen gibt. Zweitens ist das Ergebnis aus dem Argument ernüchternd. Was ist die Konsequenz, wenn eine schwere Gefährdungssituation eines fundamentalen Rechtsgutes vorliegt, die Gefahr jedoch vorhersehbar war? Die Konsequenz des Nichteingreifens wäre fatal und die Gefährdungslage nicht gelöst. Das Bundesgericht hat in dieser Frage bereits die Heilung des Fehlens der Vorhersehbarkeit durch eine schwere Gefahr gebilligt. Dies verdeutlicht wiederum, wie umstritten jenes Kriterium ist.

Abschliessend kann festgehalten werden, dass er Staat gestützt auf die polizeiliche Generalklausel nur handeln darf, wenn ein fundamentales Rechtsgut betroffen ist, die Gefährdung schwer und zeitlich dringend ist und das Gesetz keine Massnahmen vorsieht. Die Unvorhersehbarkeit der Gefährdungslage hingegen ist ein umstrittenes Kriterium und kann zumindest teilweise vernachlässigt werden laut BGE.