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Können lebensrettende Massnahmen den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen?

Bei medizinischen Notfallbehandlungen stellen sich oftmals eine Vielzahl rechtlicher Fragen. Macht sich beispielsweise eine Person der Körperverletzung nach Art. 123 StGB strafbar, wenn sie einem Unfallopfer während einer Herzdruckmassage mehrere Rippen bricht? Als lebensrettende Massnahmen gelten Massnahmen, die in einer Notfallsituation von jedermann zu ergreifen sind, um das Leben eines Patienten oder einer Patientin zu retten oder zumindest die Überlebenschancen zu verbessern. Dementsprechend muss zuerst ermittelt werden, ob eine Notfallsituation oder eine sogenannte elektive Behandlung vorliegt. Bei elektiven Behandlungen handelt es sich um Heilmethoden, die nicht unter zeitlichem Druck durchzuführen sind und deshalb genügend Zeit für eine Absprache mit dem Patienten oder der Patientin besteht. Der Arzt oder die Ärztin wählt dabei die Methode, die er oder sie als am erfolgversprechendsten erachtet, berücksichtigt aber gleichzeitig die Wünsche des Patienten oder der Patientin. Nur gestützt auf sachliche Gründe kann ein Arzt eine Behandlung verweigern, sofern dies nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstösst.

In Notfallsituationen, bei denen lebensrettende Massnahmen erforderlich sind, bleibt keine Zeit für eine Absprache mit dem Patienten oder der Patientin und es ist schnelles Handeln gefragt. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass selbige/r durch die Massnahme am Körper verletzt wird, auch wenn es das Ziel war, die lebenswichtigen Vitalfunktionen zu erhalten. Zu den lebensrettenden Massnahmen gehört unter anderem die Herdruckmassage, welche ein erhebliches Verletzungsrisiko birgt. Deshalb stellt sich die Frage, ob solche Handlungen den Tatbestand der Körperverletzung nach Art. 123 StGB erfüllen können.

Die Abgrenzung der Körperverletzung kann sich teilweise als schwierig erweisen. Eine lediglich momentane geringfügige Störung des Wohlbefindens, welche die Gesundheit nicht gefährdet, gilt grundsätzlich noch als Tätlichkeit nach Art. 126 StGB. Die Schutzobjekte der Körperverletzung sind der Körper, die Gesundheit und die körperliche Integrität. Verletzt eine lebensrettende Massnahme ein solches Schutzobjekt, ist der Tatbestand der Körperverletzung grundsätzlich erfüllt. Da es jedoch nicht zweckdienlich ist, jemanden aufgrund seiner Heiltätigkeit zur Verantwortung zu ziehen, muss es eine Möglichkeit geben, straffrei zu bleiben. Dies geschieht mittels Rechtfertigungsgründen wie der Einwilligung des Patienten/der Patientin oder falls diese/r urteilsunfähig ist mittels mutmasslicher Einwilligung. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Ausgangspunkt für jede Beurteilung ärztlichen Handelns das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oder der Patientin (BGE 127 IV 154). Damit das Recht auf Autonomie gewahrt werden kann, muss der Entscheid frei von Zwang und unter Kenntnis der Sachlage gefällt werden können. Ohne Rechtfertigungsgrund wie beispielsweise einer Einwilligung oder Notstandshilfe, erfüllen ärztliche Eingriffe den Tatbestand der Körperverletzung. Ein klärendes Gespräch mit einer Anwältin oder einem Anwalt für Strafrecht in St. Gallen, Zürich oder Frauenfeld kann hierbei zweckdienlich sein.