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Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers beim Vorwurf der strafrechtlichen Handlungen gegen einen Arbeitnehmer insb. bei sexueller Belästigung

Als ArbeitgeberIn sieht man sich mit unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Themen konfrontiert; darunter z.B. Fragen zum Lohn, Ferien oder zu den Arbeitszeiten. Seit geraumer Zeit ist aber vor allem ein Thema im Fokus: der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Zu diesem Thema finden sich zahlreiche Beiträge und Gerichtsentscheide, jedoch liegt dabei der Fokus zuweilen auf den rechtlichen Möglichkeiten des Opfers der sexuellen Belästigung. Selten liegt der Fokus auf dem oder der Arbeitnehmenden, welche/r – möglicherweise zu Unrecht – z.B. einer sexuellen Belästigung beschuldigt wird und noch seltener liegt der Fokus auf dem oder der Arbeitgebenden, welche/r sich im Interessenkonflikt zwischen der Führsorgepflicht gegenüber dem/der Arbeitnehmenden und der Wahrung der Interessen des mutmasslichen Opfers seines oder seiner Arbeitnehmenden befindet. Wie verhält es sich mit dem Schutz des/der Arbeitnehmenden vor mutmasslich ungerechtfertigten Vorwürfen der sexuellen Belästigung? Wie verhält sich der/die Arbeitgebende in einer solchen Situation korrekt?

Das schweizerische Arbeitsrecht statuiert in Art. 328 OR die Fürsorgepflicht des oder der Arbeitgebenden, wobei der wichtigste Aspekt der Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden ist. Darunter fallen Teilgehalte wie das Leben und die Gesundheit, das Ansehen im Betrieb und insbesondere auch die persönliche und berufliche Ehre der Arbeitnehmenden (Portmann/Rudolph, Basler Kommentar OR I, Art. 328, N 4). Im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes hat der oder die Arbeitgebende sowohl eigene «Eingriffe in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu unterlassen» (Portmann/Rudolph, Basler Kommentar OR I, Art. 328, N 4) als auch den/die ArbeitnehmerIn vor Verletzung seiner oder ihrer Persönlichkeit durch Dritte zu schützen (Portmann/Rudolph, Basler Kommentar OR I, Art. 328, N 7 f.). Rückt der odre die ArbeitgeberIn den oder die ArbeitnehmerIn bei der Belegschaft, Dritten oder der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht, z.B. durch unbewiesene Vorwürfe, kann der/die ArbeitgeberIn unter Umständen Gefahr laufen, den/die ArbeitnehmerIn in seiner oder ihrer Persönlichkeit zu verletzen und das wirtschaftliche Fortkommen des oder der Arbeitnehmenden widerrechtlich zu behindern (BSK OR I – Portmann/Rudolph, Art. 328 N 24).

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist unter dem Aspekt des arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes insbesondere die persönliche und berufliche Ehre des oder der Arbeitnehmenden zu berücksichtigen. Diesbezüglich stellte das Bundesgericht fest, dass die Anschuldigung der Misshandlung von Patienten gegenüber einer Pflegeperson eine schwere Verletzung der beruflichen Ehre darstellen kann. Wird dieser Verdacht darüber hinaus an eine öffentliche Stelle weitergeleitet, kann die Persönlichkeitsverletzung dadurch verstärkt werden. (zum Ganzen: BGer 4A_99/2012 vom 30. April 2012).

Sieht sich ein/e ArbeitgeberIn mit der Situation konfrontiert, dass einem/einer der Arbeitnehmenden strafrechtliche Handlungen, insb. sexuelle Handlungen oder ein Missbrauch, vorgeworfen werden, ist Vorsicht im Hinblick auf die darauffolgenden Massnahmen mit Bezug auf den oder die ArbeitnehmerIn geboten. Eine voreilige Entlassung oder die voreilige Meldung bei einer Behörde können unter Umständen eine Verletzung der Fürsorgepflicht des/der Arbeitgebenden darstellen und Entschädigungsfolgen für ihn oder sie nach sich ziehen. Sämtliche Fragen in diesem Bereich kann Ihnen eine Anwältin oder ein Anwalt für Arbeitsrecht beantworten.