Der folgende Aufsatz wurde von RA Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann, LL.M. verfasst und im Jahr 2014 von der Fachzeitschrift «Journal for Labour and Social Affairs in Eastern Europe» publiziert. Darin stellt er fest, dass die Ukraine Ländern wie Russland, Kasachstan, Polen oder Rumänien wirtschaftlich unterlegen sei. Jedoch sei zu beachten, dass Rumänien und Kasachstan von Russland und Polen aus wirtschaftlicher Sicht ebenfalls übertrumpft wurden. Dieser Artikel soll die Umstände beleuchten, die zu diesen Gegebenheiten geführt haben. In den letzten zwanzig Jahren konnte man beobachten, dass Russland und Polen einen höheren BIP pro Kopf vorweisen konnten als andere osteuropäische und asiatische Länder wie die Ukraine, Rumänien und Kasachstan.
Mithilfe von Daten der Weltbank veranschaulicht der Autor die verschiedenen BIP pro Kopf der oben genannten Länder. Nach einer wirtschaftlichen Krise in den 1990er Jahren konnte Russlands Wirtschaft ab Beginn der 2000er Jahren einen immensen Wirtschaftswachstum verzeichnen. Auch Polen konnte einen wirtschaftlichen Aufschwung vorweisen. Polens BIP pro Kopf überragt sogar jenen von Russland. Wie schon oben angeschnitten, konnte die Ukraine einen weniger guten Wirtschaftswachstum verzeichnen als Russland und Polen, und schneidet dementsprechend am schlechtesten von den fünf genannten Ländern ab. Besser als das der Ukraine, jedoch schlechter als jenes von Polen und Russland hat sich das kasachische Wirtschaftswachstum entwickelt. Rumäniens Wirtschaftswachstum hat sich zwar schlechter als jenes von Polen, Russland und Kasachstan entwickelt, jedoch besser als das der Ukraine.
Die Gründe für den unterschiedlichen Wirtschaftswachstum sind vielfältig. Einige Staaten konnten von einer EU-Mitgliedschaft profitieren. Andere sind reich an natürlichen Ressourcen. In Russland war im Jahr 2008 etwa ein Drittel des BIP pro Kopf den natürlichen Ressourcen zu verdanken. Auch Kasachstan konnte vom Rohstoffreichtum profitieren. Die übertrumpften Länder haben ärmere Rohstoffvorkommnisse und konnten dementsprechend nicht im gleichen Umfang profitieren. Dass die Wirtschaft jedoch nicht nur von den vorhandenen Rohstoffen abhängt, ist am Beispiel von Polen sichtbar. Ein weiterer Faktor, welcher die wirtschaftliche Wohlfahrt beeinflusst, könnte in der geografischen Lage liegen. Beispielsweise kann die unmittelbare Nachbarschaft zu kapitalistischen, demokratischen Staaten, wie beispielsweise zu Deutschland, einen Einfluss haben. Auch ökonomische Reformen haben einen erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. In Russland betraf die massgeblichste Reform die Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs (sog. Schocktherapie). Polen konnte mit der Schocktherapie besser umgehen als Russland. Dabei half der polnische Blacerowicz-Plan. Russlands Währungspolitik war weniger erfolgversprechend. Dia Währungssituation in der Ukraine war noch schlechter einzustufen als jene in Russland. Kasachstan führte eine unabhängige Währungspolitik und konnte die Inflationsproblematik dementsprechend besser überwinden. Im Jahr 1992 betrug die kasachische Inflationsrate 2'984.5%, im Jahr 2002 nur noch 5.9%. Die rumänische Währungspolitik hatte verheerende Folgen. Zusammenfassend stellt der Autor an dieser stellt, dass Bemühungen in der Stabilisierung der Geldpolitik und in der Integration des Landes in die freie Marktwirtschaft anschauliche Resultate lieferten. Im Gegensatz zur Ukraine und zu Rumänien haben sowohl Russland als auch Kasachstan von ihren immensen Rohstoffvorkommnissen profitiert. Ein weiterer Aspekt, der die wirtschaftliche Situation eines Staates positiv zu beeinflussen vermag, ist die Etablierung starker Institutionen. Globale Unternehmen verkörpern eine stabile Marktwirtschaft und locken dadurch indirekt internationale Investoren. Weiter nehmen sie eine massgebende Rolle in internationalen Handelsbeziehungen eines Landes ein. Polen hat diesen Weg bestritten und starke Institutionen haben sich bereits nach kurzer Zeit etabliert. Die ukrainische, kasachische, russische und rumänische Wirtschaft wurde von einer Korruptionskultur, welche von schwachen Institutionen begleitet wurde, überschattet. Rechtsstaatliche Strukturen und Garantien, insbesondere das Legalitätsprinzip sowie die Eigentumsgarantie, tragen ebenfalls zur Wohlfahrt eines Staates bei. Zu erwähnen ist vorliegend, dass die rumänische Wirtschaft in erheblichem Ausmass von der EU-Mitgliedschaft profitiert hat. Insbesondere konnten sich dadurch starke Institutionen etablieren und die Eigentumsrechte wurden verstärkt.
Das rumänische Finanzsystem kann eine starke Integration in den globalen Finanzmarkt vorweisen. Die schwache Währung (Leu) bringt jedoch immense Herausforderungen für rumänische Banken mit sich. Neben den klassischen Banken konnten sich in Polen auch andere Finanzinstitute, beispielsweise Versicherungsgesellschaften, etablieren. Das polnische Finanzsystem könnte dementsprechend einer der Hauptgründe für Polens nachhaltigen Wirtschaftswachstum darstellen. Natürlich hat Polen ebenfalls von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Kasachstan kann mittlerweile zwar einen global gut integrierten Finanzsektor vorweisen, der jedoch nicht mit den westlichen Standards mithalten kann. Russlands Finanzsektor konnte sich global weniger gut integrieren. Er ist jedoch trotzdem gut aufgestellt. Auch die russischen Handelsbeziehungen sind ausgeprägt. So wird Russland als drittwichtigster Handelspartner der EU gelistet. Der ukrainische Finanzsektor ist geprägt von grossen Risiken im Kreditgeschäft. Die Regulierung und Überwachung von Finanzinstitutionen kann als rückständig betrachtet werden.
Abschliessend stellt der Autor fest, dass ab Ende der 1980er Jahre gewisse osteuropäische sowie mittelasiatische Staaten eine erfreulichere Entwicklung ihrer Wirtschaft verzeichnen konnten als andere Staaten in dieser globalen Region, welche sich in einer ähnlichen Situation befanden. Die unterschiedliche Entwicklung ist nicht nur auf unterschiedliche Rohstoffressourcen zurückzuführen. Vielmehr ist auch der Erfolg von eingeführten Wirtschaftsreformen sowie der Ausbau des Handels- und Finanzsystems für die Wohlfahrt eines Staates verantwortlich. Starke Institutionen sowie die umfangreiche Ausgestaltung des Eigentums sind ebenfalls zu berücksichtigende Faktoren. Die Staaten, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom Kommunismus trennen wollten, konnten eine bessere wirtschaftliche Entwicklung verzeichnen als die Staaten, welche zum Kommunismus zurückkehren wollten.