Der Artikel wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann in Zusammenarbeit mit Marco Weiss verfasst und 2020 in der Fachzeitschrift «Anwaltsrevue» veröffentlicht. Der Text beschäftigt sich mit den Informations-, Frage- und Teilnahmerechten gemäss Art. 147 StPO bei Beweisabnahmen im Strafverfahren. Im Strafverfahren haben Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch Staatsanwaltschaft und Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Dieses Recht ist in der Strafprozessordnung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Das Teilnahmerecht steht allen Verfahrensparteien zu, d.h. der beschuldigten Person, der Privatklägerschaft und der Staatsanwaltschaft. Auch eine mitbeschuldigte Person hat in Bezug auf Beweiserhebungen ein Teilnahmerecht. Das Teilnahmerecht gilt ab Eröffnung der Strafuntersuchung, aber nicht bei Beweiserhebungen durch die Polizei im selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahren. Einschränkungen des Teilnahmerechts sind möglich, wenn die Partei ihre Rechte missbraucht oder öffentliche sowie private Geheimhaltungsinteressen dies erfordern. Auch vorübergehende Ausschlüsse von Einvernahmeverhandlungen sind zulässig. Es ist jedoch möglich, auf diese Rechte vor oder nach der Beweisabnahme ausdrücklich oder stillschweigend zu verzichten. Ein Verzicht hat zur Folge, dass die Beweisabnahme nicht wiederholt werden kann. In einem aktuellen Urteil konkretisierte das Bundesgericht die Verzichtshandlung auf die Teilnahmerechte nach Art. 147 Abs. 1 StPO. Der Fall betraf einen Mann, der wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt worden war und in Berufung ging. Er rügte eine Verletzung seiner Teilnahmerechte. Das Bundesgericht entschied, dass ein Verzicht auf die Rechte nach Art. 147 Abs. 1 StPO auch vom Rechtsvertreter des Beschuldigten erklärt werden könne. So muss sich der Beschuldigte das Handeln seiner Verteidigung anrechnen lassen. Soweit der bei den Einvernahmen anwesende Rechtsvertreter nichts gegen die Abwesenheit des Beschuldigten vorbringt und keinen Antrag auf dessen Teilnahme stellt, kann angenommen werden, dass der Beschuldigte auf seine Teilnahmerechte verzichtet. Eine gegenteilige Entscheidung hätte zu einem erheblichen Missbrauchspotenzial geführt, da Straftäter ihre Anwälte instruieren könnten, ihnen einen Verzicht auf ihre Teilnahmerechte zu empfehlen, um Beweise später mit dem Vorwand anzufechten, diese seien nicht verwertbar. Es ist jedoch noch nicht höchstrichterlich entschieden, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen Anwälte ohne Zustimmung ihrer Mandanten einen Verzicht auf Teilnahmerechte erklären. Um sich abzusichern, empfiehlt es sich, die Zustimmung des Klienten in Schriftform zu erhalten und die Konsequenzen des Verzichts auf die Teilnahmerechte zu erklären.
Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt, öffentlicher Notar, Autor, Lehrbeauftragter sowie Unternehmensberater.
Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F. & Weiss M. (2022). Verzicht auf die Teilnahmerechte nach Art. 147 Abs. 1 StPO. Anwaltsrevue, 4, 187-189, 2020.