Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann, LL.M. hat im Jahr 2023 einen Artikel für die Fachzeitschrift «Kriminalist» verfasst. Darin setzt er sich mit der Strafvereitelung im Amt durch Polizeibeamte auseinander. Insbesondere beleuchtet er die damit verbundene Beweisproblematik.
Bisweilen hat die Wissenschaft dieser Thematik keine grosse Beachtung geschenkt. Polizeibeamte ersparen sich durch das regelmässige «Abwimmeln» von Anliegen potenzieller Anzeigeerstatter viel Arbeit. Die Beweisproblematik, welche nicht im Sinne des Gesetzgebers sein dürfte, schützt die betroffenen Polizeibeamten bis heute vor einer potenziellen Strafverfolgung.
Weder eine strafrechtliche Tatbestandsmässigkeit noch das Vorliegen der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit kann anhand eines kurzen Gesprächs abschliessend bejaht oder verneint werden. Lassen sich Polizeibeamte zu einer voreiligen Verneinung der genannten Gesichtspunkte hinreissen, so könnten sie sich der (versuchten) Strafvereitelung im Amt i.S.v. Art. 258a StGB strafbar machen. Auffällig ist hierbei, dass für Polizeibeamte wenige Verurteilungen aufgrund des genannten Straftatbestandes erfasst wurden. Regelmässig schenken Laien den Ausführungen der Polizeibeamten Glauben und lassen die Angelegenheit auf sich beruhen. Rechtsanwälte dürfen sich durch Polizeibeamte jedoch nicht beirren lassen.
Die Beweisproblematik geht oftmals damit einher, dass Anzeigen bzw. versuchte Anzeigen telefonisch getätigt werden. In Deutschland werden diese Telefonate nur aufgezeichnet, falls der Notruf gewählt wurde. Säumige Polizeibeamten haben kein Interesse daran, ihr fehlerhaftes Interesse zuzugeben. Auch dem Anrufer ist eine Aufzeichnung des Telefonats untersagt. Weiter ist aus Bürgersicht auch nicht ersichtlich, wieso die Polizei kein Interesse an die Verfolgung einer Straftat haben soll. Aus den geschilderten Konstellationen ergibt sich folglich, dass mögliche Strafvereitelungen im Amt schlecht dokumentiert sind. Aufgrund beschränkter Möglichkeiten einer empirischen Erhebung solcher Straftaten, sieht der Autor das effektivste Mittel gegen Strafvereitelungen im Amt in der Aufklärung von Strafrechtlern und in einer konsequenten Anzeigeerstattung im Falle eines Verdachtes gegen einen Polizeibeamten.
Der Autor diskutiert die geschilderte Problematik aufgrund eines gekürzten Praxisbeispiels. Dabei handelt es sich um einen Anruf bei einer deutschen Polizeidienststelle.
Der Autor hat ein Beispiel konzipiert, in dem eine ältere Frau (nachfolgend «Dame») auf der Couch liegt und Blut erbricht. Die Versorgung durch eine Ärztin erschöpft sich darin, dass diese der Dame einen neuen Eimer für das Erbrochene hinstellt. Die Ärztin lässt die Dame in einem lebensbedrohlichen Zustand zurück und verzichtet auf eine Verständigung des Rettungsdienstes. Aufgrund des lebensbedrohlichen Zustandes konnte sich die Dame nicht selbst helfen. Weiter hat sie auf die Handlungen der Ärztin vertraut. Als eine Drittperson (nachfolgend Anrufer) wenig später zufällig vom Gesundheitszustand der Dame mitbekommt, verständigt dieser den Rettungsdienst, welcher wiederum die Dame ins Krankenhaus bring, wo sie reanimiert wird. Die Dame muss sich einer Notoperation unterziehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre sie ohne den Eingriff verstorben. Das rechtzeitige Handeln der oben erwähnten Ärztin hätte weniger weitgehende invasive medizinische Massnahmen erlaubt. Strafrechtlich könnte sich die Ärztin der unterlassenen Hilfeleistung, der schweren Körperverletzung durch Unterlassen und des versuchten Totschlags strafbar gemacht haben. Die strafrechtliche Aufklärung eines solch komplizierten Sachverhaltes erfordert umfassende Ermittlungsmassnahmen. Beispielsweise müsste für die Beurteilung eines Tötungsvorsatzes der Ärztin mindestens eine Vernehmung stattfinden.
Der Anrufer hat festgestellt, dass in der Wohnung der Dame Beweismittel aufzufinden seien. Dabei denkt er insbesondere an den Brecheimer samt Inhalt. Daraufhin entschied er sich, die Wohnung nicht zu verändern und die Polizei zu verständigen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Dame noch in akuter Lebensgefahr und eine Tötungsabsicht der Ärztin konnte nicht ausgeschlossen werden. Der Kriminaldauerdienst (KDD) hat daraufhin einen Rückruf getätigt und dem Anrufer mitgeteilt, dass die Dame noch lebe und deshalb keine Zuständigkeit des KDD vorläge. Weiter wurde dem Anrufer die selbständige Spurensicherung empfohlen. Als der Anrufer am nächsten Morgen den Leiter des KDD (Polizist X) kontaktiert und diesen in einem 5-minütigen Telefonat über den Sachverhalt orientiert, bestätigt Polizist X, dass er bereits über die Vorkommnisse informiert sei und er bzw. der KDD tatsächlich nicht zuständig seien. Daraufhin hat der Anrufer erneut ausdrücklich darum ersucht, dass der Sachverhalt aufgenommen wird und in der Wohnung der Dame Beweise gesichert werden. Daraufhin äusserte Polizist X erneut, mit Verweis darauf, dass die ältere Dame noch lebe, einen negativen Bescheid. Der Anrufer müsse persönlich bei der Polizeiinspektion vorbeigehen und Strafzeige erstatten, falls er eine Verfolgung der Angelegenheit anstrebe. Man werde nicht aufgrund eines Zurufs von Angehörigen ermitteln. In casu hat der Anrufer den Polizist X auf mehrere Offizialdelikte aufmerksam gemacht. Jedoch musste der Anrufer damit rechnen, dass der Polizist X, trotz seiner Garantenstellung, nichts unternehmen werde und, Stand dann, keine Strafuntersuchung zustande kommen würde. Daraufhin hat sich der Anrufer telefonisch an die Polizeidienststelle gewendet und mit der Leitung gesprochen. Nachdem er den Sachverhalt kurz geschildert hatte, wurde ihm von der Leitung ein Rückruf zugesichert. Dieser wurde jedoch vom Polizist X getätigt, welcher dem Anrufer mitteilte, dass die Leitung seine Meinung teile. Der Anrufer wiederum machte den Polizist X explizit auf das Vorliegen von Offizialdelikten aufmerksam, deren Verfolgung nicht von einer Anzeige, sondern von der Kenntnis eines Polizeibeamten abhängig seien. Es folgte eine aggressive Reaktion, in welcher der Polizist X den Anrufer erneut auf die persönliche Anzeige bei der Polizeiinspektion verwies und diesem ebenfalls mitteilte, dass er noch anderes zu tun habe. Daraufhin hat der Polizist X den Hörer aufgeknallt. Wichtig ist, dass der Anrufer, trotz des expliziten Hinweises auf mögliche Offizialdelikte, damit rechnen musste, dass es nicht zur Verfolgung des Sachverhaltes kommen würde. Durch das Auflegen hat Polizist X mindestens in Kauf genommen, dass der Anrufer den Sachverhalt, welchen er bereits einem Polizeibeamten geschildert hatte, nicht erneut zur Anzeige gebracht wird. Im schlimmsten Fall wäre der Sachverhalt, obwohl dieser in all seinen wesentlichen Punkten inklusive Hinweis auf das mögliche Vorliegen von Offizialdelikten dem Polizisten X und damit einem Polizeibeamten geschildert wurde, nicht verfolgt worden. Polizist X hätte sich zu diesem Zeitpunkt während der Dienstzeit mit der Angelegenheit befassen können, dies vor allem aufgrund des Vorliegens von Anhaltspunkten für einen Anfangsverdacht.
Da der Anrufer erneut damit rechnen musste, dass die Angelegenheit versandet und somit keine Ermittlungen aufgenommen werden, hat dieser erneut die Leitung kontaktiert und dieser mitgeteilt, dass die Beweissicherung in Gefahr sei. Der Anrufer hat sich mit der Dienststellenleitung auf eine persönliche Anzeigeerstattung geeignet, woraufhin für Tötungsdelikte zuständige Beamten tatsächlich eine Anzeige aufgenommen haben und die Beweissicherung durchgeführt wurde.
Im Sinne von §§ 258 Abs. 1 und 258a Abs. 1 Var. 1 StGB können nur Amtsträger gemäss § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Frage kommen, die an Straf- bzw. Massnahmenanordnungsverfahren teilnehmen. Damit ein Amtsträge als Täter in Frage kommt, muss eine konkrete Beziehung zur Tat erforderlich sein. Die Ausgestaltung dieser konkreten Beziehung ist jedoch umstritten. Eine Ansicht besagt, dass die Zuständigkeit des Amtsträgers für die Bearbeitung der betreffenden Strafsache nicht gegeben sein muss, sofern er die Bearbeitung durch aktives Handeln beeinträchtigt. Somit genügt es, falls die Verfahrensbeeinflussung aufgrund der konkreten Anstellung für den Täter ermöglicht wird. Eine Rechtspflicht zum Einschreiten bestehe an dieser Stelle nur, falls der Täter örtlich, sachlich sowie funktionell zuständig sei. Dass nur die Unterlassungsthematik von dieser Ansicht gedeckt ist, wird in der Lehre kritisch diskutiert, wobei teilweise sowohl in Bezug auf eine Unterlassung als auch auf ein aktives Tun dafür plädiert wird, dass der Täter im betreffenden Verfahren Mitwirkungspflichten innehaben muss. Auf den Beispielfall angewendet muss man festhalten, dass der Polizist X den KDD der örtlich zuständigen Polizeidienststelle leitet und dass die Polizei weiter für die Annahmen von Strafanzeigen sachlich zuständig ist. Die funktionale Zuständigkeit wurde abgestritten, da die ältere Frau noch lebe. Dem Bürger könne, auch aus Gründen der mangelnden Erkennbarkeit, nicht zugemutet werden, dass er sich innerhalb der Polizeistruktur an die funktional zuständige Person wende. Solange die örtliche und sachliche Zuständigkeit bei der Anzeigeerstattung gewahrt bleibt, ist der polizeiinterne Ablauf für die Anzeigeerstattung irrelevant. Ein funktional nicht zuständiger Polizeibeamter ist folglich mindestens zur internen Weiterleitung der Angelegenheit an einen funktional zuständigen Beamten verpflichtet. Kommt der Polizist dieser Verpflichtung nicht nach, so kommt er als Täter in Frage. Falls man auch die funktionale Zuständigkeit als Strafbarkeitsvoraussetzung betrachtet, kommt man zum gleichen Ergebnis, denn zum Aufgabenbereich eines Polizisten gehört auch die Aufnahme von Strafanzeigen. Die funktionale Zuständigkeit und somit auch die Rechtspflicht zum Einschreiten können folglich bejaht werden. Würde man die funktionale Zuständigkeit enger auslegen, würde man den Tatbestand aushöhlen, denn jeder Polizist könnte folglich seine funktionale Zuständigkeit im engeren Sinne abstreiten. Die Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen der Polizeiarbeit wäre durch diese Ansicht massgeblich beeinträchtigt. Der Autor stellt sich auf den Standpunkt, dass dies nicht im Interesse des Gesetzgebers sein könne. Abschliessend stellt er fest, dass ein örtlich zuständiger Polizeibeamte sich nicht auf eine funktionelle Unzuständigkeit berufen kann.
In Bezug auf §§ 258 Abs. 1 und 258a Abs. 1 Var. 1 StGB ist zu erwähnen, dass die ganzheitliche oder teilweise Vereitelung der eigenen Bestrafung oder Belegung mit einer Massnahme nicht strafbar ist. Die ganzheitliche Verhinderung der Aburteilung der Vortat wird für die Erfüllung der oben genannten Straftatbeständen nicht vorausgesetzt. Der staatliche Sanktionsanspruch muss nur für einen signifikanten Zeitraum nicht erfüllt werden, wobei auf die Handlungsverzögerung und nicht auf die Ermittlungsverzögerung abgestellt wird. Bezüglich der Handlungsverzögerung spricht sich ein Teil der Lehre für eine Dauer von zehn Tagen aus, ein anderer Teil der Lehrer setzt mindestens drei Wochen für die Annahme einer Handlungsverzögerung voraus. Vorbehalten bleibt beim Ausbleiben einer relevanten Verzögerungsdauer der Versuch. Auf das Praxisbeispiel angewendet, kommt der Autor zum Schluss, dass nur die Strafbarkeit wegen eines Versuchs von § 258 Abs. 2 StGB in Betracht kommt, da der Anrufer innert wenigen Stunden bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle eine Anzeige erstattet hat. Für die Erfüllung des Straftatbestandes durch Unterlassung muss sich der Täter in einer Garantenstellung befinden. Eine solche ist für Polizisten, Strafrichter und Staatsanwälte zu bejahen, da diese durch ihr Amt dienstlich mit der Strafverfolgung betraut sind. Das eigene Untätigbleiben mit Verweis auf die eigene Unzuständigkeit des Polizisten X in seiner Garantenstellung ist in casu, in Folge der örtlichen Zuständigkeit und der Möglichkeit der Anzeigeaufnahmen bzw. Veranlassung der Anzeigeaufnahme durch einen Kollegen, als Unterlassung zu qualifizieren. Subjektiv wird die Absicht oder die Wissentlichkeit hinsichtlich einer Vereitelungshandlung vorausgesetzt. Dem Amtsträger muss die Beziehung zur Sache sowie im Unterlassungsfall seine Garantenstellung bekannt sein. Als Leiter der KDD hatte der Polizist X in casu Kenntnis davon, dass er als örtlich zuständiger Polizeibeamter zur Strafverfolgung berufen war. Er war sich seiner besonderen Beziehung zur Tat bewusst. Somit waren ihm die Umstände, welche seine Garantenstellung begründen ebenfalls bewusst. Die Vortat wurde ihm detailliert geschildert. Der Autor betrachtet den subjektiven Tatbestand folglich als gegeben.
§ 258a Abs. 1 StGB sieht für die Erfüllung des Straftatbestandes eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren vor, wohingegen in mittelschweren Fällen eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe drohen können. Eine Strafmilderung ist vorliegend i.S.v. § 13 Abs. 2 i.V.m. 49 Abs. 1 StGB denkbar, in der Praxis aufgrund der Garantenstellung der Täter jedoch äusserst unwahrscheinlich. Auch Disziplinarmassnahmen, ultima ratio sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sind denkbar. Die Anzeigeaufnahme ist in casu nur aufgrund der Hartnäckigkeit des Anrufers erfolgt. Ein mittelschwerer Fall bleibt dadurch ausgeschlossen. An dieser Stelle unterstreicht der Autor die rechtsstaatserhaltende Rolle der Polizei. Können aufgrund mangelnder Motivation oder der abschreckenden Wirkung komplexer Sachverhalte keine Anzeigen eingereicht werden, so werden grundlegende Prinzipien des Rechtstaates untergraben.
Der Autor hält fest, dass in casu sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand von §§ 258 Abs. 1 und 258a Abs. 1 Var. 1 StGB erfüllt sind.
Oben wurde der Aspekt der Beweisschwierigkeiten angeschnitten. Abwimmelnde Polizisten werden das eigene strafbare Verhalten wohl regelmässig abstreiten. In casu könnte der Polizist X sogar gänzlich die Telefonate mit dem Anzeigeerstatter bestreiten. Letzterem kann man leicht durch Screenshots von geführten Telefonaten begegnen. Der Polizist X könnte jedoch nicht das geführte Telefonat, aber vielmehr dessen Inhalt bestreiten. Um eine erhöhte Glaubwürdigkeit zu gewährleisten, sollten Anzeigeerstatter während des Telefonats immer detaillierte Aktennotizen erstellen. Die Aktennotizen, welche eine detaillierte Beschreibung des Telefonats im Nachhinein zulässt, in Kombination mit dem Screenshot, könnten die Schilderungen des Anrufers unterstreichen, insbesondere dann, wenn der Polizeibeamte keine Aktennotizen geführt hat. Weiter kann der Anzeigeerstatter seine Glaubwürdigkeit verstärken, indem er unmittelbar nach dem Telefonat jemanden über das geführte Telefonat informiert. Insgesamt sollte keine zu hohen Anforderungen an die Beweisführung gestellt werden, da ansonsten die Strafverfolgung i.S.v. §§ 258 Abs. 1 und 258a Abs. 1 Var. 1 StGB verunmöglicht wird. Insbesondere wenn mehrere Gespräche mit der Polizei stattgefunden haben, ist davon auszugehen, dass der Anzeigeerstatter die Polizei über einen Sachverhalt informieren wollte. Auf den konkreten Fall angewendet, müsste der Polizist X belegen, weshalb er im Sachverhalt keine klaren Verhältnisse geschaffen und er eine Strafbarkeit von vornherein ausgeschlossen hat. Zeugenaussangen heimlicher Mithörer von Telefonaten sind grundsätzlich kein zulässiges Beweismittel im Strafprozess, wodurch nicht auf solche abgestellt werden darf.
Der Autor unterstreicht in seiner Schlussfolgerung, dass der Veranlassung von Ermittlungen im Hinblick auf Offizialdelikte nicht diverse Telefonate mit der Polizei und ein Besuch auf der Dienststelle vorhergehen dürfen. Sachverhalte, die ein mögliches Delikt darstellen, sind bereits ab dem ersten Verlangen aufzunehmen. Sowohl das Vertrauen in den Rechtsstaat als auch die rechtsstaatliche Strafverfolgung müssen jederzeit gewährleistet sein. Diese darf nicht aufgrund vermeintlicher Unzuständigkeiten gehemmt werden. Eine einmalige Kontaktaufnahme mit Polizeibeamten muss bei möglichen Offizialdelikten in jedem Fall genügen.