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Sterbehilfe / Der Handlungsspielraum der Ärzteschaft in der Schweiz aus strafrechtlicher Sicht

Der Artikel wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann in Zusammenarbeit mit Dr. iur. Madeleine Camprubi verfasst und 2020 in der Fachzeitschrift «Neue Kriminalpolitik» veröffentlicht. Der Artikel beschäftigt sich mit der Rolle der Ärzteschaft in der Schweiz in Zusammenhang mit der Sterbehilfe aus strafrechtlicher Sicht. Ärzte dürfen selbstverständlich keine Patienten vorsätzlich töten, auch wenn diese den Wunsch äussern zu sterben. Die Strafe kann von einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bis hin zu lebenslänglichem Freiheitsentzug reichen. Auch wenn der Patient den Tod wünscht und der Arzt aus Mitleid handelt, ist dies strafbar. Wenn jedoch der Patient den Selbstmord begeht und die Kontrolle über den Tötungsvorgang hat, kann die Ärzteschaft nur beschränkt zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. In diesem Fall kann der Arzt nur dann verurteilt werden, wenn er den Suizid veranlasst oder unterstützt hat, um selbstsüchtige Beweggründe zu verfolgen. Passive Sterbehilfe bezieht sich auf den Verzicht oder Abbruch lebenserhaltender Massnahmen wie künstlicher Ernährung, Beatmung, Intubation oder Dialyse, um das natürliche Sterben eines Patienten zu ermöglichen. Die Straffreiheit hängt von einem gültigen Sterbewillen des Patienten ab. Für bewusstlose Personen ohne Patientenverfügung, Kinder oder psychisch kranke Menschen kann nicht mit dem Vorrang des Selbstbestimmungsrechts argumentiert werden. Die Ärzteschaft kann für fahrlässige Tötung zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Selbstmord des Patienten mit der Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht durch Unterlassung adäquat kausal zusammenhängt. Die fahrlässige Tötung wird wie die Unterlassung der Nothilfe mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die bewusste Suizidhilfe durch die Arztperson ist strafbar. In Hinblick auf die Urteilsfähigkeit der Personen, die Suizid begehen möchten, gilt es zu berücksichtigen, dass deren Feststellung Strafbehörden sowie Ärzte vor grosse Herausforderungen stellt. Es ist schwierig zu beurteilen, ob eine Person, die beispielsweise an Demenz oder psychischen Problemen leidet, in der Lage ist, eine vernünftige Entscheidung darüber zu treffen, ob sie ihr Leben beenden will. Die Rechtslage ist in dieser Hinsicht unklar, da die Vermutung der Urteilsfähigkeit, die im zivilrechtlichen Kontext gilt, nicht unbedingt im Strafrecht anwendbar ist. Die Strafbehörden müssen nachweisen, dass die Person, die sich das Leben genommen hat, zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht urteilsfähig war.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt und öffentlicher Notar. Er beschäftigt sich vorzugsweise mit strafrechtlichen Themen.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F. & Camprubi M. (2020). Sterbehilfe: Der Handlungsspielraum der Ärzteschaft in der Schweiz aus strafrechtlicher Sicht. Neue Kriminalpolitik, 32 (1), 75-90, 2020.