Folgender Aufsatz wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann, LL.M. verfasst und im Jahr 2023 durch die Fachzeitschrift «Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht» publiziert. Darin befasst sich der Autor kritisch mit dem Rechtsschutz gegen internationale und Europäische Haftbefehle.
Internationale und Europäische Haftbefehle bilden zentrale Instrumente im grenzüberschreitenden Kampf gegen Kriminalität. Wird jedoch auf dem Bestechungs- oder Korruptionsweg ein nationaler Haftbefehl erwirkt, könnte dieser aufgrund eines internationalen oder Europäischen Haftbefehls im deutschsprachigen Raum erstreckt werden. Dadurch machen sich deutschsprachige Justizbehörden zum verlängerten Arm korrupter Regime. Eine Studie aus dem Jahr 2021 hat aufgezeigt, dass insbesondere osteuropäische Länder, voran Russland, die Ukraine und Bulgarien, besonders anfällig für solche Machenschaften sind. Durch diese Praktik können nämlich politische und wirtschaftliche Gegner unschädlich gemacht werden. Es stellt sich die Frage nach den bestehenden rechtstaatlichen Schutzmechanismen und ob diese verstärkt werden könnten bzw. müssten.
Als Grundlage für einen internationalen Haftbefehl fungiert ein nationaler Haftbefehl. Dieser wird nämlich bei Interpol angemeldet, worauf eine Eintragung (sog. Red Notice) in das Interpol Informationssystem erfolgt. Die Interpol-Mitgliedsstaaten haben Einsicht in dieses Register. Ob ein Haftbefehl in das nationale polizeiliche System eingetragen wird, obliegt trotz einigen rechtsstaatgewährenden Vorkehrungen dem Interpol-Mitgliedsstaat. Wird das System missbraucht, können sich Betroffene an die Datenschutzkommission von Interpol wenden, welche auch von sich aus tätig werden kann. Streicht die Datenschutzkommission eine Red Notice, tun es ihr die nationalen Polizeibehörden oftmals gleich. Das Verfahren vor der Datenschutzkommission ist jedoch nicht frei von Schwachstellen. Einerseits wird die Unabhängigkeit und Qualifikation der Besetzung kritisiert, anderseits besteht keine hinreichende Verfahrensordnung. Kritisiert wird auch, dass den Betroffenen gegen Entscheide der Kommission kein Rechtsmittel offensteht.
In Deutschland kann gegen Haftbefehle Beschwerde und weitere Beschwerde erhoben werden. Eine vorläufige Festnahme aufgrund einer Red Notice darf dann erfolgen, wenn sämtliche Voraussetzungen eines Auslieferungsbefehls erfüllt sind. In Deutschland müssen Personen, welche im Fahndungssystem von Interpol zu finden sind mit einer Festnahme rechnen. Aufgrund fehlender Zuständigkeit eines OLG oder einer GenStA kann bei einer Einreise nach Deutschland keine Schlüssigkeitsprüfung für ein Haftbefehl vorgenommen werden. Präventive Lösungsmöglichkeiten, welche durch die Rechtsvertretung vorgenommen werden müssten, sind auf den gute Willen der GenStA angewiesen. Aufgrund einer mangelnden gesetzlichen Grundlage wird die GenStA sich wohl nicht darauf einlassen. Ein Lösungsansatz im Sinne des Gesetzgebers wäre die Schaffung einer allgemeinen Zuständigkeit für ein deutsches OLG. Diese Regelung würde den Betroffenen auch die volle Bewegungsfreiheit in einem anerkannten Rechtstaat gewährleisten. Lehnt ein OLG nämlich den internationalen Haftbefehl ab, so sind, Stand heute, die anderen OLG nicht an dieser Entscheidung gebunden.
In der Schweiz ist eine Auslieferung nur dann zulässig, wenn die Tat sowohl nach dem schweizerischen Recht als auch nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer schweren oder freiheitsbeschränkenden Sanktion von nicht weniger als einem Jahr belegt ist sowie die Tat nicht der schweizerischen Gerichtsbarkeit untersteht. Das Bundesstrafgericht fungiert dabei in verschiedenen Konstellationen als Beschwerdeinstanz, wobei bedeutende Fälle das Bundesgericht involvieren können. Durch die Funktion als Zentralstelle für Fälle der internationalen Rechtshilfe ist das schweizerische Modell dem deutschen Modell überlegen. Das Bundesamt für Justiz vereinigt die Koordination und Entscheidungsgewalt über Red Notices. Somit sind präventive Lösungsmöglichkeiten in Hinblick auf die Ablehnung eines Haftbefehls durch die Rechtsvertreter in der Schweiz möglich.
Die Zuständigkeit für die Auslieferung liegt in Liechtenstein beim Landgericht (LG). Dieses nimmt bezüglich der Verhängung von Auslieferungshaft eine Schlüssigkeitsprüfung vor. Red Notices von Interpol werden jedoch vorbehaltlos übernommen. Nach einer Festnahme erfolgt eine Einvernahme durch das Landgericht, worauf der Landrichter die Angelegenheit dem Obergericht vorlegt. Dieses erlässt einen Beschluss, welcher dem Landesamt für Justiz übermittelt wird. Das zuständige Regierungsmitglied entscheidet letztendlich formell, wobei ein ablehnender Beschluss des Obergerichts zu befolgen ist. Das liechtensteinische System wird vom Autor besser bewertet als das deutsche System, jedoch sei es dem schweizerischen System unterlegen. Gelobt wird die klare Zuständigkeitsordnung, kritisiert wird, wie beim deutschen System, dass sich das LG nur dann mit Interpol-Einträgen befasst, wenn Grund zur Annahmen besteht, dass die betroffene Person sich bereits im Land aufhalte.
In Österreich herrscht eine vergleichbare Zuständigkeitssituation wie in Deutschland. Sowohl die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit liegt bei der StA. Falls keine Zuständigkeit vorliegt, ist subsidiär die StA Wien zuständig. Der Gerichtsstand liegt beim jenem LG, an der die für das Auslieferungsverfahren zuständige StA den Sitz hat. In Österreich besteht in Bezug auf Auslieferungen ein zweistufiger Rechtsschutz. Verschiedene Gründe führen dazu, dass einem Ersuchen nicht stattgegeben werden darf. Auch menschenrechtliche Aspekte, welche sich auf das ARHG und die EMRK stützen, dürfen nicht verletzt werden. Der Autor betrachtet die Auslieferungsgründe in einem konstruierten Verfahren für einen hinreichenden Rechtsschutz als nur bedingt geeignet.
Als Zwischenfazit hält der Autor fest, dass der Rechtsschutz gegen internationale Haftbefehle auf Ebene Interpol ungenügend sei, was jedoch teilweise auf nationaler Ebene kompensiert werde.
Der Europäische Haftbefehl dient der Übergabe von gesuchten Personen an einen anderen Mitgliedsstaat und gilt in der ganzen EU. Er ersetzt in der EU das traditionelle Auslieferungsverfahren.
Die Verfahrensrechte müssen jedoch gewahrt bleiben. Ein Europäischer Haftbefehl darf immer nur auf Grundlage eines nationalen Haftbefehls erlassen werden. Europäische Haftbefehle bedürfen den Erlass durch eine Justizbehörde. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass die Polizei keine Justizbehörde i.S.v. Art. 6 Abs. 1 RB-EuHB darstelle, Staatsanwaltschaften hingegen schon (ausgenommen sind deutsche Staatsanwaltschaften). In Österreich entfaltet der Europäische Haftbefehl erst bei einer gerichtlichen Genehmigung seine Rechtswirkung. Eine Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ist aufgrund des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nur aus Gründen, welche im Rahmenbeschluss aufgeführt und eng auszulegen sind, möglich. Dabei handelt es sich grundsätzlich um Verhandlungen, welche in Abwesenheit der Betroffenen stattgefunden haben und um den Verdacht einer mangelhaften Unabhängigkeit der Justiz im ersuchenden Mitgliedsstaat. Die über die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls entscheidende Justizbehörde muss zweistufig vorgehen. Vorab muss eine Beurteilung des Justizsystems des ersuchenden Staates erfolgen. Wird dieses System als mangelhaft qualifiziert, muss in einem zweiten Schritt objektiv geprüft werden, ob der betroffene durch eine Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls aufgrund des mangelhaften Justizsystems eine Gefahr erleidet.
Ob eine Straftat sowohl im ersuchenden als auch im ersuchten Staat strafbar ist, ist vorliegend irrelevant. Da die Justizbehörden über den Vollzug eines Europäischen Haftbefehls entscheiden, werden politische Einflüsse ausgeschlossen. Auch eigene Staatsangehörige können ausgeliefert werden, ausser wenn der ablehnende Staat die Vollstreckung der Freiheitsstrafe selbst übernimmt. Weiter bestehen zwingende und fakultative Ablehnungsgründe, welche «gekaufte Europäische Haftbefehle» jedoch nicht berücksichtigen und somit das eingangs erwähnte Problem nicht zu lösen vermögen.
In Deutschland wurde der RB-EuHB durch die Anpassung des IRG umgesetzt. Aufgrund dieser Anpassung kann für den Rechtsschutz in Hinblick auf den Europäischen Haftbefehl auf die obigen Ausführungen zum internationalen Haftbefehl verwiesen werden. Das IRG sieht weiter Ablehnungsgründe und Bestimmungen zur Auslieferung deutscher Staatsbürger vor.
In Österreich wiederum wurde der RB-EuHB im EU-JZG umgesetzt. Dieses sieht eine subsidiäre Anwendung des oben erwähnten ARHG vor. Somit kann grundsätzlich auf obige Ausführungen verwiesen werden. Sieht das ARHG nichts vor, verweist dieses auf die StPO. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls setzt voraus, dass die Tat im ersuchenden Staat mit freiheitsentziehenden Massnahmen oder Freiheitsstrafe von nicht weniger als einem Jahr bedroht wird. In casu wird für gewisse Straftatbestände das Vorliegen der beidseitigen Strafbarkeit vorausgesetzt. Erhält die StA einen Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung, wird das Landgericht involviert. Das ARHG regelt weiter die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle gegen österreichische Staatsbürger und die Frage von Abwesenheitsurteilen. Der Autor lobt den Umstand, dass der österreichische Gesetzgeber, die im Rahmenabkommen erwähnten fakultativen Ablehnungsgründe allesamt als obligatorisch in das EU-JZG übernommen hat. Dadurch hebt sich Österreich punkto Rechtsschutzes von anderen europäischen Staaten ab.
Internationale und Europäische Haftbefehle sind von Wichtigkeit, da diese ein zentrales Instrument zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung darstellen. Jedoch muss sichergestellt werden, dass die Justizsysteme im deutschsprachigen Raum nicht von ausländischen Justizsystemen missbraucht werden. Die Missbrauchsanfälligkeit wurde im Jahr 2021 im Journal für Strafrecht durch eine empirische Studie belegt. Durch politischen Druck oder Bestechung können internationale oder Europäische Haftbefehle leicht herbeigeführt werden, die den politischen Gegner oder andere Personen im Konkurrenzverhältnis aus dem Verkehr ziehen. Im Falle einer systematischen, professionellen Vorgehensweise kann der Rechtsschutz oftmals nicht gewährleistet werden. Menschen- und grundrechtliche Aspekte bildeten in der Vergangenheit häufig die Grundlage für ausgeübte Kritik an die Umsetzung des europäischen Haftbefehls. Insbesondere muss gewährleistet werden, dass aufgrund einer Auslieferung kein reales Risiko hinsichtlich Folter, unmenschlicher oder herabwürdigender Behandlung oder der Verweigerung eines fairen Verfahrens besteht. Diskutiert wurde in der Vergangenheit insbesondere die Thematik der politisch motivierten Europäischen Haftbefehle. Hinsichtlich gekaufter europäischer Haftbefehle besteht der Rechtsschutz somit wohl in einem kleineren Ausmass. Opfer dieses Phänomens könnten Schwierigkeiten beim Aufzeigen der Gründe bekunden. Solchen Haftbefehlen kann man gemäss Autor nur begegnen, indem die ersuchten Behörden die ausländischen Ermittlungsergebnisse extrem kritisch betrachten. Inwiefern dies bei professionell konstruierten Sachverhalten möglich ist, sei ebenso kritisch zu betrachten. Explizit genannt werden an dieser Stelle osteuropäische Staaten, welche eine bedenkliche rechtsstaatliche Reputation ausweisen. Blindes Vertrauen sei dort unangebracht. Diese Auffassung scheint der EuGH in seiner jüngsten Rechtsprechung zu teilen. Aufgrund des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens dürfte keine pauschale Verdachtsliste veröffentlich werden. Im Moment muss man sich mit einer kritischen Einzelfallprüfung begnügen.
Die oben erwähnten und in Kapitel II und III detailliert umschriebenen Schutzmechanismen sind grundsätzlich zur Verhinderung des Missbrauchs internationaler und Europäischer Haftbefehle geeignet. Diese Eignung grenzt jedoch dort, wo professionell manipulierte bzw. gekaufte Verfahren konstruiert werden. Die Schranken der EMRK sind dabei theoretischer Natur, da Richter im deutschsprachigen Raum ihren Amtskollegen in Osteuropa kein Kriminelles Handeln vorwerfen sollten. Bei professionellem Vorgehen der Täterschaft werden weder eine konkrete Einzelfallbetrachtung noch ein überbordender Rechtsschutz helfen. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist dies bedenklich. Dass in der Schweiz nur der internationale Haftbefehl gilt, sei dabei ein schwacher Trost. Der Autor sieht den einzigen Lösungsansatz darin, dass dem Missbrauchspotenzial internationaler und Europäischer Haftbefehle durch Publikationen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werde. Ablehnende Entscheidungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten könnten sich auf diese Publikationen stützten.