In diesem im «forumpoenale» erschienenen Artikel beschäftigt sich Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann mit einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft Zürich (nachfolgend StA ZH) und den darauffolgenden Beschwerden an das Bundesstrafgericht (RR.2021.239 bzw. RR.2021.246) bezüglich eines Rechtshilfeersuchens seitens Russlands an die Schweiz. Ein Ermittlungskomitee der Russischen Föderation führte seit 12.08.2019 ein Strafverfahren gegen eine im Führungsgremium sitzende Person einer Aktiengesellschaft. Aufgrund von Vorwürfen bezüglich der Entwendung finanzieller Mittel aus ebenjener AG und der anschliessenden Geldwäscherei zu Lasten der Person im Führungsgremium, gelangten die russischen Behörden an die Schweiz mit einem Rechtshilfeersuchen und begehrten unter anderem die Herausgabe gewisser Bankunterlagen. Die StA ZH entsprach diesem Ersuchen am 11.10.2021, woraufhin der Betroffene Beschwerde beim Bundesstrafgericht erhob. Die Beschwerdekammer stellte fest, dass aufgrund gravierender Verletzungen des Völkerrechts seitens Russlands zu hinterfragen sei, ob Rechtshilfe – auf Basis des Art. 2 IRSG – überhaupt geleistet werden könne. Ein militärischer Angriff auf die Ukraine am 24.02.2022, das Wegfallen Russlands als Vertragspartei der EMRK ab dem 16.09.2022, sowie andere gegen das Völkerrecht verstossende Verbrechen (insbesondere Planung, Vorbereitung, Durchführung eines Angriffskrieges; Verstoss gegen Gewaltverbot;) torpedieren das völkerrechtliche Vertrauensprinzip. Es bestehen demnach ernsthafte Gründe zur Annahme, dass während eines Verfahrens in Russland den in der EMRK und den im internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) festgelegten Verfahrensgrundsätzen nicht entsprochen wird (Art. 2 lit. A IRSG). Damit verletzt die Russische Föderation die Voraussetzungen der internationalen Rechtshilfe gem. Art. 2 lit. a IRSG. Während sich das Bundesamt für Justiz (nachfolgend BJ) für eine Sistierung des Verfahrens aussprach, bis die völkerrechtliche Lage umfassend geklärt sei, entschied das Bundesstrafgericht, dass die Rechtshilfe zu verweigern sei. Auch die Tatsache, dass Russland als Vertragspartei des Rechtshilfeabkommens, auf welchem das IRSG basiert, bestehen bleibt, ändert an dieser Feststellung nichts. Die durch das IRSG erhobenen Voraussetzungen und die daraus resultierende Verweigerung der Rechtshilfe sollen verhindern, dass die Schweiz ein Strafverfahren unterstützt, in welchem den Personen Minimalgarantien, die ihnen in einem Rechtsstaat und insbesondere durch die EMRK und den UNO-Pakt II zustehen, nicht gewährt werden oder welches den internationalen Ordre Public verletzt. Nach Austritt Russlands aus der EMRK kann der EGMR das Einhalten ebenjener Minimalgarantien nicht mehr kontrollieren. Die Entscheidung über die Rechtshilfe zu sistieren, wie vom BJ vorgeschlagen, hätte lediglich zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt und käme damit einer Rechtsverweigerung gleich – «Jede Person hat […] Anspruch auf […] Beurteilung innert angemessener Frist.» (Art. 29 I BV) Demnach kann weder die Rechtshilfe an Russland erteilt werden noch eine Sistierung des Entscheidverfahrens erfolgen, ohne entweder Art. 2 lit. a IRSG oder Art. 29 I BV zu verletzten – der Antrag auf Rechtshilfe seitens Russlands war zwingend abzulehnen.
Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt, öffentlicher Notar und Unternehmensberater auf internationaler Ebene. Er ist ebenfalls Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten und publiziert regelmässig Artikel zu strafrechtlichen Themen in unterschiedlichen Fachzeitschriften.
Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F. (2023). Nr. 8 Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, Entscheid vom 17. Mai 2022 – RR.2021.239 + RR.2021.246.