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Können lebensrettende Massnahmen als Körperverletzung gelten?

Der Artikel wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann in Zusammenarbeit mit Céline Hürlimann verfasst und 2019 in der Fachzeitschrift «schweizerische Ärztezeitung» veröffentlicht. Der Artikel beschäftigt sich mit der strafrechtlichen Bedeutung von lebensrettenden Massnahmen. Als lebensrettende Massnahmen werde jene bezeichnet, die in einer Notfallsituation von jedermann zu ergreifen sind, um das Leben eines Patienten zu retten oder seine Überlebenschancen zumindest zu verbessern. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass das Unfallopfer beim Versuch der Reanimation während einer Herzdruckmassage mehrere Rippenbrüche erleidet. Die Einwilligung in eine Körperverletzung wird in der Schweiz als ausserstrafgesetzlicher Rechtfertigungsgrund angesehen. Jede medizinische Behandlung, einschliesslich lebensrettender Massnahmen, bedarf grundsätzlich der Einwilligung des betroffenen Patienten. Eine angemessene Aufklärung und ausdrückliche Zustimmung des Patienten sind erforderlich, wobei eine mündliche Einwilligung in der Regel genügt. In schwerwiegenden Fällen wie einer Organentnahme muss die Person jedoch schriftlich zustimmen. Im Falle einer fehlenden Willensbildung oder Willensäusserungsfähigkeit wird von der mutmasslichen Einwilligung gesprochen. In einer Notfallsituation, in der eine mutmassliche Einwilligung erforderlich ist, trifft der Behandelnde einen Entscheid nach dem mutmasslichen Willen und den objektiven Interessen des urteilsunfähigen Patienten. Die Bestimmungen der Biomedizinkonvention des Europarates gelten in der Schweiz grundsätzlich direkt und besagen, dass eine Intervention im Gesundheitsbereich erst dann erfolgen darf, nachdem die betroffene Person angemessen über den Zweck und die Art der Intervention sowie über die Folgen und Risiken aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Die Notstandshilfe ist im Strafgesetzbuch (Art. 17 StGB) geregelt und erlaubt es einer Person, in einer Notsituation, in der eine unmittelbare Gefahr für fremde Rechtsgüter besteht, einzugreifen, um diese zu schützen. Dabei können auch lebensrettende Massnahmen ergriffen werden, um das Leben einer Person zu retten, wenn deren Rechtsgüter bedroht sind. Eine Notstandshilfe kann jedoch nicht gegen den Willen des Betroffenen ausgeübt werden. Wenn ein Laie in einer Notsituation handelt, um das Leben einer Person zu retten, kann ihm grundsätzlich keinen Vorwurf gemacht werden, wenn er im Zweifel die Gefahr bejaht und lebensrettende Massnahmen ergreift. Ob eine Notstandshilfe gerechtfertigt ist, wird durch eine Interessenabwägung ermittelt, bei welcher der Rang der betroffenen Rechtsgüter, der Grad der drohenden Gefahr und alle Umstände der Tat miteinbezogen werden. Das höherwertige Interesse muss gewahrt werden.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt und öffentlicher Notar. Er interessiert sich insbesondere für strafrechtliche Fragen und publiziert in dieser Hinsicht zahlreiche Artikel im Rahmen seiner Tätigkeit als Autor und Lehrbeauftragter.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F. & Hürlimann C. (2019). Können lebensrettende Massnahmen als Körperverletzung gelten? Schweizerische Ärztezeitung. 100 (37), 1235-1239.