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Hat ein Strafverteidiger Zugang zu Dokumenten, die dem Geschäftsgeheimnis unterliegen?

Unsere Rechtsanwälte in Frauenfeld, Zürich und St. Gallen begegnen alltäglich strafrechtlichen Themen wie diesen. Dr. Dr. Fabian Teichmann, Rechtsanwalt in St. Gallen, sowie Léonard Gerber, juristischer Mitarbeiter bei Teichmann International, haben für den dRSK einen Kommentar zu einem Urteil geschrieben, welcher sich mit der Frage befasst, ob ein Strafverteidiger Zugang zu Dokumenten hat, die dem Geschäftsgeheimnis unterliegen.

Der vorliegende Kommentar behandelt das Urteil des Kantongerichts Neuenburg vom 27. August 2019, welches durch das Bundesgericht vom 6. Mai 2020 abgewiesen wurde. Nachdem eine Uhrenfirma Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter erstattet hat, führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg wegen passiver Bestechung (Art. 4a I Bst. B UWG) und ungetreuer Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) Strafuntersuchungen gegen diesen Mitarbeiter. Ihm wird vorgeworfen, insgesamt CHF 5.000.000 von in China ansässigen Lieferanten angenommen zu haben, um Aufträge zu erhalten.

Daraufhin ordnete die Staatsanwaltschaft an, dass die Uhrenfirma einen Bericht von F. über den Markt erstellt. Darauf hat die Uhrenfirma behauptet, dass in diesem Bericht wichtige Geschäftsgeheimnisse vorhanden sind und schlug deshalb vor, nur geschwärzte Versionen abzugeben.

Die Staatsanwaltschaft ordnete darauf an, dass das Originaldokument abzugeben sei und nur in Anwesenheit des Verfahrensleiter und der Beschwerdeführer eingesehen werden könne und darf unter Anordnung von Art 292 StGB nicht an die Mandanten weitergegeben werden.

Darauf legte die Firma Berufung beim Kantonsgericht Neuenburg ein, woraufhin das Kantonsgericht die Anklage abwies und die Entscheidung der Staatsanwaltschaft bestätigte.

Nach § 108 StPO ist das Recht auf Akteneinsicht (§ 102 StPO) nicht absolut und kann von der Strafverfolgungsbehörde eingeschränkt werden. Vor allem wenn der Verdacht besteht, dass der Betroffene seine Rechte missbraucht, es zur Gewährleistung der Sicherheit von Personen oder zum Schutz öffentlicher oder privaten Interessen an der Geheimhaltung erforderlich ist. Nach der Botschaft des Bundesrates ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Rechtsbeistand Zugang zu bestimmten Dokumenten hat, obwohl sein Mandant nicht befugt ist. Diese Privilegierung des Strafverteidigers beruht auf der Erwägung, dass dieser als Gehilfe der Justiz seinen Mandanten sorgfältig und unabhängig vertreten muss (Art. 12 lit. a und b StPO). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es dem Strafverteidiger erlaubt ist, Dokumente dieser Art unter gewissen Beschränkungen einzusehen. Gerne stehen Ihnen unsere Rechtsanwälte in Zürich, Frauenfeld sowie St. Gallen bei Fragen oder Anliegen beratend zur Verfügung.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist als Notar in St. Gallen und als Rechtsanwalt in der Schweiz tätig. Er ist zudem Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten und als niedergelassener Europäischer Rechtsanwalt in Liechtenstein tätig.

Fabian Teichmann / Léonard Gerber, Un défenseur pénal a-t-il accès à des documents soumis au secret d’affaire?, in : CJN, publié le 21 juin 2021.