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Die Whistleblowing-Richtlinie, ihr Missbrauchspotential und Implikationen für Compliance-Beauftragte

Der Artikel wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann in Zusammenarbeit mit Laura Weber verfasst und 2022 in der Fachzeitschrift «Compliance Berater» veröffentlicht. Der Artikel befasst sich mit den Implikationen der Europäischen Richtlinie (EU) 2019 / 1937 zum Schutz von Personen (Hinweisgebern), die Verstösse gegen das Unionsrecht melden. Ziel ist es, Mitarbeiter innerhalb von Unternehmen und Behörden zu ermutigen, ihre Bedenken in Hinblick auf Verletzungen der Compliance zu äussern. Hinweisgeber haben fast eine straf- und zivilrechtliche Immunität und können nicht wegen Verletzung von Berufs- und Geschäftsgeheimnissen belangt werden, ausser sie gehören zu bestimmten Berufsgruppen. Hinweisgeber können auch nicht wegen Verleumdung, Verletzung des Urheberrechts oder anderer Gesetzesverstösse belangt werden, die durch ihre Meldung verursacht wurden. Einzige Voraussetzung für den Schutz ist, dass die Meldung wahr ist, wofür der Hinweisgeber lediglich hinreichende Gründe vorweisen muss. Ein hinreichender Grund zur Annahme der Wahrheit besteht bereits, wenn der Hinweisgeber im Moment der Meldung in gutem Glauben gehandelt hat. Personen, die willentlich und wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden, geniessen hingegen keinen Schutz gemäss dieser Richtlinie. Es bleibt jedoch die Frage, wie mit fahrlässigen und grob fahrlässigen Meldungen umgegangen wird, die sich im Nachhinein als falsch oder ungerechtfertigt erweisen. Der zu breit gefasste Hinweisgeberschutz könnte falsche Anreize setzen und gewisse Personen dazu verleiten, unüberlegte sowie ungerechtfertigte Meldungen zu erstatten. In Hinblick auf die Pflichten der Compliance-Beauftragten fordert die Richtlinie die Einrichtung von internen Meldekanälen und Verfahren für juristische Personen des privaten und öffentlichen Sektors. Im privaten Sektor müssen juristische Personen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern sowie alle, die unter bestimmte Rechtsakte fallen, interne Meldekanäle einrichten. Bei einer Risikobewertung können auch Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern dazu verpflichtet werden. Im öffentlichen Sektor sind alle juristischen Personen einschliesslich Stellen, die sich in ihrem Besitz oder unter ihrer Kontrolle befinden, zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet. Im Rahmen der Einrichtung der Meldekanäle sind die Anonymität und Vertraulichkeit der Meldungen sowie die Möglichkeit eines Dialogs zwischen dem Hinweisgeber und den Vorgesetzten ausschlaggebend. Diese internen Systeme können verhindern, dass Informationen über Verstösse gegen das Unionsrecht oder die Unionspolitik des Unternehmens öffentlich bekannt werden. Die juristische Person behält somit die Informationskontrolle und kann Reputationsschäden und finanzielle Konsequenzen vermeiden. Die Errichtung eines internen Meldesystems kann daher auch als Reputationsmanagement angesehen werden.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt sowie öffentlicher Notar in St. Gallen. Im Rahmen seiner Tätigkeiten hat er sich intensiv mit Compliance-Fragen auseinandergesetzt.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F & Weber, L. (2022). Die Whistleblowing-Richtlinie, ihr Missbrauchspotential und Implikationen für Compliance-Beauftragte. Compliance Berater, 10(5), 157-162, 2022.