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Die Grenzen der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen im Kontext der aktuellen Krise in der Ukraine – das schweizerische Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) als möglicher Lösungsansatz

Der Autor dieses im Jahr 2023 in der Fachzeitschrift «Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht» publizierten Artikels ist Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann, LL.M.. In seinen Ausführungen beleuchtet der Autor am Beispiel des Ukrainekrieges das Problempotenzial, welches von der faktischen schweizerischen Aussetzung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen an Russland und allenfalls in Zukunft auch an die Ukraine ausgeht. Inkriminierte Vermögenswerte werden als Folge der fehlenden Beweisbarkeit strafbarer Vortaten aufgrund der faktischen Aussetzung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen im deutschsprachigen Raum aufbewahrt, verwaltet und investiert. Daran wird die Relevanz von Non-Conviction-Based Confiscation of Assets zum Zweck einer effektiven Bekämpfung der Geldwäscherei sichtbar.

Zum Schutze des Finanzplatzes Schweiz hat der schweizerische Gesetzgeber im Jahr 2015 das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) erlassen. Dieses ermöglicht die Sperrung, Einziehung und Rückerstattung von Potentatengeldern. Insofern hat die Schweiz Pionierarbeit geleistet und eine gesetzliche Grundlage für die Non-Conviction-Based Confiscation of Assets geschaffen. Das SRVG begründet gegenüber dem Verfahren der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) Subsidiarität.

Politische Umwälzungen und Regimewechsel erschaffen oft Gegebenheiten, welche die Erfüllung der Vorausserzungen für eine rechtshilfeweise Einziehung verunmöglichen.

Prima facie erscheint der Erlass des SRVG sinnvoll, um die Aufbewahrung, Verwaltung und Investition inkriminierter Vermögenswerter zu verhindern. Eine genauere Betrachtung offenbart jedoch den erheblichen Verdacht auf eine Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK und stellt mit Blick auf diverse Umgehungsmöglichkeiten die Relevanz des SRVG in Frage. Somit kann das SRVG keine Pauschallösung in der Korruptionsbekämpfung und in der Bekämpfung von Rechtshilfehindernissen darstellen. Es bietet jedoch einen validen Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Non-Conviction-Based Confiscation of Assets im deutschsprachigen Raum.

In den Regelungsbereich des SRVG fällt die Regelung der Sperrung, Einziehung sowie Rückerstattung von Vermögenswerten ausländischer politisch exponierter Personen bzw. ihnen nahestehenden Personen, welche der Korruption, ungetreuen Geschäftsbesorgung oder anderen Verbrechen verdächtig sind (sog. PEP). Der Ukrainekrieg hat bewirkt, dass eine Vielzahl aus der breiten Bevölkerung der Ukraine, jedoch auch aus der ukrainischen Elite, die Ukraine verlassen hat. Russische PEP bewahren traditionell Vermögenswerte in der Schweiz auf. Der Autor stellt sich die Frage, wie man mit solchen Vermögenswerten im Hinblick auf eine Aussetzung der Rechtshilfe mit Russland umgehen solle.

Art. 3 Abs. 1 SRVG statuiert mehrere Umstände, unter denen der Bundesrat im Hinblick auf eine allfällige Rechtshilfezusammenarbeit die Sperrung von Vermögenswerten in Zusammenhang mit PEP in der Schweiz anordnen kann. Solche Sperrungen sind jedoch nur zulässig, sofern kumulativ ein Machtverlust der Regierung bzw. bestimmter Regierungsmitglieder im Herkunftsland eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, der Korruptionsgrad im Herkunftsland notorisch hoch ist, Vermögenswerte mutmasslich durch Korruption, ungetreue Geschäftsbesorgung oder andere Verbrechen erworben wurden und die Sperrung zur Wahrung der schweizerischen Interessen erforderlich ist. Falls keine Gefahr in Verzug liegt, muss die Schweiz hinsichtlich Sperrungsmassnahmen Partnerländer sowie internationale Organisationen bezüglich deren Haltung konsultieren.

Im Hinblick auf eine Einziehung von Vermögenswerten beim Scheitern der Rechtshilfe sieht Art. 4 SRVG ausdrücklich die Möglichkeit einer Sperrung dieser vor. Ist die Zusammenarbeit mit dem Herkunftsstaat trotz der erfolgreichen Einreichung eines Rechtshilfeersuchs nicht möglich, da vom Herkunftsland Verfahrensgrundsätze nach Art. 2a IRSG nicht befolgt wurden, kann die Schweiz ebenfalls eine Sperrung veranlassen, falls die Wahrung der Schweizer Interessen es erfordert (vgl. Art. 4 Abs. 3 IRSG). Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt besonders relevant. Aufgrund dessen, dass das Einreichen eines Rechtshilfeersucht für die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 IRSG vorausgesetzt wird, besteht eine Möglichkeit für den Umgang mit Ländern, mit denen die Rechtshilfe faktisch ausgesetzt wurde darin, dass pro forma ein Rechtshilfegesuch eingereicht wird. Da sich dieses aufgrund der faktischen Aussetzung der Rechtshilfe als ausgeschlossen erweist, wird die Bestimmung von Art. 4 Abs. 3 IRSG anwendbar.

Eine Sperrung i.S.v. Art. 3 SRVG ist höchstens auf vier Jahre befristet, wobei der Bundesrat unter gewissen Voraussetzungen die Sperrung um jeweils ein Jahr verlängern kann. Die Maximaldauer für die angesprochene Sperrung beträgt zehn Jahre. Sperrungen von Vermögenswerten i.S.v. Art. 4 SRVG behalten ihre Gültigkeit bis zum rechtskräftigen Entscheid über ihre Einziehung. Um keine Hinfälligkeit hervorzurufen, muss innerhalb von zehn Jahren ab Sperrungsverfügung ein Einziehungsverfahren eingeleitet werden. Ein solches Verfahren nimmt viel Zeit in Anspruch, wodurch für eine Sperrung ein Zeitraum von bis zu 20 Jahren denkbar ist.

Gemäss Art. 14 Abs. 1 SRVG kann der Bundesrat das EFD mit der klageweisen Einziehung von Vermögenswerten vor dem Bundesverwaltungsgericht beauftragen. Das Gericht ist dabei unter gewissen Voraussetzungen dazu verpflichtet, die Klage gutzuheissen. Der Autor beschreibt zwei Umstände als bemerkenswert. Im Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht kann keine Verjährung der Strafe oder der Strafverfolgung geltend gemacht werden. Weiter wird in Art. 15 SRVG eine Vermutung der Unrechtmässigkeit statuiert. Der ausserordentlich starke Vermögensanstieg i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. a SRVG wird dann als gegeben betrachtet, wenn ein grosses Missverhältnis zwischen dem rechtmässigen Einkommen einer Person und dem Vermögensanstieg besteht, welches nicht adäquat bzw. nach dem Kontext des Landes zu erklären ist. Vorliegend liegt eine Umkehr der Beweislast vor. Die Vermutung kann nur umgestossen werden, wenn die Rechtmässigkeit des Vermögenserwerbes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann.

Eine Vermögensübertragung einer Person an einen ausländischen Staat begründet einen schwerwiegenden Eingriff in die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), welcher nur durch die Anforderungen von Art. 36 BV gerechtfertigt werden kann. Der Finanzplatz Schweiz profitiert zwar davon, dass ausländische Personen ihr Vermögen in der Schweiz aufbewahren und verwalten lassen. Hingegen hat die Schweiz kein Interesse daran, dass der Finanzplatz zur Aufbewahrung und Verwaltung inkriminierter Vermögenswerte missbraucht wird. Ein öffentliches Interesse im Hinblick auf eine Rückerstattung von inkriminierten Vermögenswerten an ein Herkunftsland ist somit zu bejahen. Dazu fungiert das SRVG als gesetzliche Grundlage. Die Verhältnismässigkeit einer Rückführung von Potentatengeldern lässt sich aufgrund dessen bejahen, dass das SRVG in einem Subsidiaritätsverhältnis zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen steht. Als Zwischenfazit hält der Autor fest, dass das SRVG nicht gegen das schweizerische Verfassungsrecht verstösst, eine Prüfung der EMRK-Konformität jedoch unerlässlich sei.

Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert ein faires, öffentliches Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraumes. Für den Umstand, dass eine zehnjährige Sperrung der Vermögenswerte aufgrund einer Sperrverfügung des Bundesrates vollzogen wird, sieht der Autor die Garantie auf ein faires und öffentliches Verfahren innert angemessener Frist als nicht gewährleistet an. Trotz des Umstandes, dass es sich hierbei nicht und ein gerichtliches, sondern um ein Verwaltungsverfahren handelt, wären fünf Jahre gerade noch als angemessene Frist zu betrachten. Hingegen hat der EGMR Verfahrensdauern von mehr als sieben Jahren nahezu immer als unangemessen befunden. Des Weiteren muss i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK zwischen beschuldigten bzw. nicht beschuldigten Personen unterschieden werden. Die Problematik des SRVG besteht im Zusammenhang mit nicht beschuldigten Personen, womit höchstens zwei Drittel der üblichen Verfahrensdauer als zulässig betrachtet wird. Als Zwischenfazit lässt sich folglich feststellen, dass die Maximalfrist von zehn Jahren (Art. 6 Abs. 1 SRVG) schwerwiegend gegen die Garantie von Art. 6 Abs. 1 EMRK verstösst. Das Recht auf ein faires Verfahren wird nicht gewährleistet. Weiter stellt der Autor fest, dass die oben angesprochene Vermutung der Unrechtmässigkeit (Art. 15 Abs. 3 SRVG) mit der Unschuldsvermutung, welche in Art. 6 Abs. 2 EMRK garantiert wird, kollidiert. Dabei betont der Autor insbesondere das Vorliegen der Beweislastumkehr. Sich auf den Standpunkt zu stellen, dass die Unschuldsvermutung vorliegend nicht zu beachten sei, da es sich beim Verlust von Eigentumsrechten nicht um eine strafrechtliche, sondern um eine zivilrechtliche Angelegenheit handle, greife zu kurz. Der Charakter einer Sperrung von Vermögenswerten i.S.d. SRVG ist eine präventive Strafmassnahme bzw. ist mit einer strafprozessualen Strafmassnahme vergleichbar. Dieser Umstand, gepaart mit der ständigen Rechtsprechung des EGMR und einer grammatikalischen Auslegung des SRVG lässt auf eine strafrechtliche Natur des SRVG schliessen. Der Autor kommt deshalb zum Schluss, dass die Unschuldsvermutung auf das SRVG anwendbar ist.

Es muss geprüft werden, ob auf das SRVG gestützte Einziehungen mit einer strafrechtlichen Anklage gleichzustellen sind. Ausschlaggebend dafür ist, ob ein Verdacht bzw. eine Anschuldigung in einer strafrechtlichen Handlung vorliegt. Da das SRVG die Sperrung, Einziehung und Rückerstattung von Vermögenswerten ausländischer PEP, die mutmasslich durch Korruption, ungetreue Geschäftsbesorgung und andere Verbrechen erlangt wurden, dürfte es sich vorliegend immer um einen Verdacht bzw. eine Anschuldigung in einer strafrechtlichen Handlung handeln. Der Umstand, dass eine innerstaatliche Qualifikation eines Sachverhaltes oder eines Gesetzes die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht ausschliessen kann, verdrängt das Argument, dass die Zuordnung des SRVG zum schweizerischen Landesrecht gegen das Vorliegen eines «Quasi-Strafverfahrens» spreche. Auch der Umstand, dass das SRVG dem Art. 70 StGB charakteristisch ähnlich ist, unterstützt die Zuordnung des SRVG zum Strafrecht. Wer argumentiert, dass eine präventive Einziehung nicht als strafrechtliche Anklage zu verstehen sei, muss berücksichtigen, dass Einziehungen i.S.d. SRVG repressive Absichten verfolgen und somit eine Verdachtsstrafe darstellen. Ebenso muss die Natur der Zuwiderhandlung und deren Folgen i.S.d. anzuwendenden Rechtsnorm berücksichtigt werden. Stellt man auf den Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 lit. b SRVG und Art. 15 Abs. 1 lit. b SRVG ab, so muss man zum Schluss kommen, dass die Vermögenswerte aus Straftaten im Ursprungsland entstammen. Die Zuwiderhandlung ist demnach klar dem Strafrecht zuzuordnen. Die Folgen, die das SRVG vorsieht, sind geeignet, um ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu erzwingend. Die Folgen sind folglich als Folgen des Strafrechts zu qualifizieren. Berücksichtigt man die Art und Schwere der Sanktionen ist die pauschale Vermögenseinziehung als erhebliche Sanktion zu qualifizieren. Sie führt nämlich zum vollständigen Verlust der Eigentumsrechte. Der Autor stellt fest, dass die materiellen Kriterien überwiegen, weshalb das SRVG als strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 2 EMRK zu qualifizieren sei. Ein oben genannter Eingriff könne lediglich eine prozessuale Massnahme darstellen, die unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 Abs. 2 EMRK in der Form zulässig wäre. Im Unterschied zu einer Einziehung gemäss Art. 69 ff. StGB wird bei Eingriffen i.S.d. SRVG jedoch in die Eigentumsverhältnisse eingegriffen. Das SRVG sieht nämlich eine definitive Einziehung der Vermögenswerte vor.

Das SRVG wurde oben als strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 Abs. 2 EMRK qualifiziert. Da folglich die Unschuldsvermutung gilt, besteht keine Entlastungspflicht bzw. Mitwirkungspflicht an der Entlastung. Werden Vermögenwerte gestützt auf mutmassliche Verbrechen im Ausland eingezogen, wird faktisch eine strafrechtliche Schuldfeststellung betrieben.

Es muss also festgehalten werden, dass der materielle Nachteil und die Gefahr einer definitiven Einziehung von Vermögenswerten einen schwerwiegenden Verstoss gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK darstellen. Eine Sperrung von Vermögenswerten für mehr als zehn Jahre verstösst ebenfalls gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Beweislastumkehr verstösst gegen die Unschuldsvermutung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Da die EMRK in der Schweiz keinen Verfassungsrang hat, ist das SRVG auch nicht verfassungswidrig. Auch gegen Anforderungen der Bundesverfassung verstösst das SRVG nicht. Das SRVG wird subsidiär zum IRSG angewendet. Dieses Modell könnte im Hinblick auf den Ukrainekrieg ebenfalls lukrativ für andere deutschsprachigen Staaten sein. Dabei gilt es zu beachten, dass ein potenziell geschaffenes Gesetz nicht der Verfassung sowie der EMRK widersprechen darf, falls diese im jeweiligen Staat Verfassungscharakter hat. Sowohl nach deutschem als auch nach schweizerischem Recht ist das SRVG konventionswidrig und müsste durch ein EGMR-Urteil korrigiert werden.

Der Autor stellt fest, dass bezüglich des SRVG fast keine Rechtsprechung vorliegt. Der Grund dafür sieht er darin, dass das Gesetz leicht zu umgehen sei. Weiter fragt sich der Autor, wieso ein derartig schwerwiegender Eingriff in Eigentumsrechte durch ein so leicht zu umgehendes Gesetz gerechtfertigt wird und wieso die Schweiz hier einen Verstoss gegen die EMRK in Kauf nimmt. Eine Umgehungsmöglichkeit besteht darin, dass ausländische PEP sich Berater leisten, welche den ausländischen PEP aufgrund des SRVG von der Aufbewahrung und Verwaltung ihrer Vermögenswerte durch Institutionen in der Schweiz abraten. Falls die Vermögenswerte jedoch trotzdem einen Weg in die Schweiz finden, so werden die ausländischen PEP häufig auf Strohleute zurückgreifen. Durch solche Massnahmen entgehen die ausländischen PEP der Hand des Gesetzgebers und das SRVG läuft oftmals ins Leere.

Der Autor kommt zu Schluss, dass das SRVG leicht zu umgehen sei. Dieses kann der Problematik von Strohleuten nicht gerecht werden, weshalb die Korruptionsbekämpfung auch noch andere Ansätze verfolgen muss. Fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des SRVG und kann dieses auch tatsächlich angewendet werden, muss trotzdem beachtet werden, dass das SRVG schwerwiegend gegen Art. 6 EMRK verstösst. Insbesondere unter Berücksichtigung der Umgehungsproblematik sei ein Verstoss gegen die Konvention weder verhältnismässig noch vertretbar. Somit kann das SRVG als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Non-Conviction-Based-Confisction of Assetss im deutschsprachigen Raum angesehen werden. Allein bildet es jedoch keine Pauschallösung in der Korruptionsbekämpfung. Vielmehr seien umgehungsresistente und rechtmässige Massnahmen erforderlich. Der Abbau der Rechtsstaatlichkeit sei ein zu hoher Preis für den Versuch der Korruptions- und Geldwäschebekämpfung im Ausland.