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Das Zusammenwirken von nationalen Gerichten und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte – dargestellt am Beispiel des Non-Refoulement-Gebots im schweizerischen Asylrecht

In diesem Beitrag beschäftigen sich die Autoren Dr. iur. Arthur Brunner und Dr. iur. Dr. rer. pol. LLM. Fabian Teichmann vordergründig mit der Frage, wie das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsprechung des EGMR in seine eigene Rechtsprechung einbindet. Dabei gehen sie auf die Schnittstellen zwischen der Rechtsprechung der Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichtes und des EGRM, die Bindung der schweizerischen Gerichte an die Rechtsprechung des EGMR und das Zusammenspiel zwischen dem EGMR und dem Bundesverwaltungsgericht aus einer praktischen Perspektive ein.

In der Schweiz werden Asylgesuche erstinstanzlich vom Staatssekretariat für Migration beurteilt. Diese Entscheide unterliegen der Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Nach dessen Entscheid kann vor dem EGRM, Beschwerde erhoben werden. Dieser überprüft jedoch nur, ob ein Beschwerdeführer glaubhaft machen kann, dass ihm eine reelle Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung drohen würde (sog. Non-Refoulement-Gebot). Zudem ist auch das Recht auf Familienleben zu beachten. Da auch die Asylabteilungen die EMRK-Garantien als innerstaatliches Recht direkt anwenden, ergeben sich daraus Schnittstellen mit der Rechtsprechung des EGMR.

Entscheide des EGRM entfalten keine direkte innerstaatliche Wirkung. Das letztinstanzliche Urteil bleibt bestehen. Der betroffene Staat wird jedoch durch ein Feststellungsurteil verpflichtet, den konventionswidrigen Zustand zu beseitigen und wiedergutzumachen. Jedoch werden die innerstaatlichen Gerichte auch dazu verpflichtet, die Rechtsprechung des EGRM in Parallelfällen zu beachten. Wurde eine Verletzung verurteilt, so darf diese sich nicht wiederholen und der Staat hat die Anpassungspflicht zu beachten. Eine indirekte Anpassungspflicht besteht auch für Urteile, die andere Konventionsstaaten betreffen.

Die Entscheide des EGMR haben eine hohe präjudizielle Wirkung auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts. Soweit der EGRM keine Interpretationsspielräume offenlässt, folgt das Bundesverwaltungsgericht dessen Rechtsprechung. Um dieses Zusammenspiel zu beschreiben, gehen die Autoren in ihrem Beitrag vor allem auf das Tarakhel-Urteil des EGRM, welches sich mit der Überstellung von Asylsuchenden in andere Dublin-Staaten im Hinblick auf das Non-Refoulement-Gebot beschäftigt, ein. Auch für die Beurteilung der Bedrohungslage, Sicherheitslage oder von Verfolgungsmustern in Herkunftsstaaten stützt sich das Bundesverwaltungsgericht oft auf die Lageeinschätzung des EGRM ab. Es weicht jedoch davon ab, falls sich an der Lage, seit dem Entscheid, eine substanzielle Änderung ergeben hat. Zudem beschäftigen sich die Autoren nicht nur mit diesen beiden Hauptanwendungsfällen, sondern auch anderen Urteile des EGRM welche Einfluss auf die Urteile der Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts haben. Relevant sind beispielsweise die Rechtsprechungen zu Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit aufenthalts-beendenden Massnahmen gegenüber einem Familienmitglied, zu Eritrea im Zusammenhang mit dem eritreischen Nationaldienst oder zu den Untersuchungspflichten, wenn in einem Asylverfahren der Verdacht aufkommt, eine asylsuchende Person könnte Opfer von Menschenhandel geworden sein.

Abschliessend wird festgehalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im dargestellten Bereich an die Rechtsprechung des EGRM gebunden fühlt, diese zur Kenntnis nimmt und wo Interpretationsspielraum besteht, weiter ausdeutet. Daraus ergibt sich eine Wechselwirkung, die den wirksamen Schutz der Konventionsgarantien schon auf innerstaatlicher Ebene sicherstellt.