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Das Recht auf einen assistierten Suizid

«Du sollst nicht töten.» Dieser Spruch ist historisch aber auf in der modernen Gesellschaft fest verwurzelt und hat Relevanz für die Ausübung medizinischer Berufe sowie für das europäische Rechtssystem. So verlangt die Genfer Deklaration des Weltärztebundes, dass MedizinerInnen einen Eid ablegen, dass sie absolute Achtung vor dem menschlichen Leben gewährleisten. Nachfolgend wird das umstrittene Recht auf einen assistierten Suizid diskutiert. Der vorliegende Beitrag wurde von Dr. Dr. Fabian Teichmann, LL.M., Rechtsanwalt in St. Gallen, von Dr. Madeleine Camprubi, Rechtsanwältin bei der Teichmann International (Schweiz) AG, sowie von Léonard Gerber, Jurist bei der Teichmann International (Schweiz) AG, geschrieben.

Mord ist im schweizerischen Recht das erste Delikt, das nach dem Strafgesetzbuch strafbar ist. Die jüngsten Fälle, mit denen sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasst hat, tendieren allerdings zur Anerkennung des Rechts auf assistierten Suizid. Dieser Trend lenkt die Debatte auf die Frage nach dem individuellen Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf ein Sterben in Würde. Drittpersonen, die Sterbewilligen Beihilfe zum Suizid leiten, riskieren nach wie vor eine strafrechtliche Verfolgung, so dass sich die Frage nach dem Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts von Sterbewilligen und der Rolle der Ärzte stellt.

Das EGMR entschied im Jahr 2013 im Urteil Alda Gross gegen die Schweiz erstmals über einen Antrag auf Beihilfe zum Suizid einer Antragstellerin, die ihr Leben beenden wollte, ohne eine unheilbare Krankheit nachzuweisen. Dieses Urteil bestätigt einen neuen Trend des EGMR, Anträge auf Beihilfe zum Suizid nicht auf der Grundlage des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens zu prüfen. Nach dem EGMR kann Art. 2 EMRK nicht so ausgelegt werden, dass er ein diametral entgegengesetztes Recht verleiht, nämlich ein Recht auf Sterben, noch kann er ein Recht auf Selbstbestimmung in dem Sinne schaffen, dass er jedem Einzelnen das Recht einräumen würde, sich für den Tod und nicht für das Leben zu entscheiden. Für die Vertragsstaaten besteht daher keine Verpflichtung, den KlägerInnen durch legislative Massnahmen ein Recht auf Sterben zu garantieren. Im Urteil Haas hat das EGMR jedoch im Hinblick auf einen Anspruch auf Sterbehilfe nach Art. 8 EMRK gegen die Schweiz im Jahr 2011 ein Recht anerkannt, über die Art und Weise und den Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden, sofern der Einzelne in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und dementsprechend zu handeln.

In Art. 111 bis 136 StGB werden alle Straftaten gegen Leib und Leben geregelt. Insbesondere Art. 115 des schweizerischen Strafgesetzbuches stellt die Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Im Grundsatz werden Drittpersonen, die den Selbstmord des Opfers unterstützen, nicht unter Strafe gestellt. Es werden nur diejenigen bestraft, die aus selbstsüchtigen Motiven handeln; weiter ausgelegt wurde dieser Begriff allerdings nicht. Die Praxis versteht darunter allerdings, dass Täter in erster Linie die Befriedigung ihrer persönlichen Interessen anstreben müssen, unabhängig davon, ob diese materieller oder emotionaler Natur sind. Damit verankert die Praxis auch das Kriterium der wirksamen Beherrschung der täglichen Handlung, was konkret bedeutet, dass der Betroffene sein Leben entweder selbst beendet hat oder ob ein Dritter sein Leben genommen hat. Bei allfälligen Fragen zu Themenbereichen wie diesem können Sie sich gerne an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten für Strafrecht in Zürich, Frauenfeld und St. Gallen wenden.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt in der Schweiz. Er ist ausserdem als niedergelassener Europäischer Rechtsanwalt in Liechtenstein und England sowie als öffentlicher Notar in St. Gallen tätig.

Teichmann, F., Camprubi, M., & Gerber, L. (2021, 15. April). Le droit au suicide médicalement assisté – Regard sur le droit Suisse, du Benelux et de la Cour EDH. Sui Generis. https://doi.org/10.21257/sg.175.