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Strafrechtliche Irrtümer: Kann Unwissenheit vor einer Strafe schützen?

Ein strafrechtlicher Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit. Die Irrtümer werden unterteilt in Sachverhaltsirrtümer (Art. 13 StGB) und Verbotsirrtümer (Art. 21 StGB).

Sachverhaltsirrtum

Der Sachverhaltsirrtum wird wiederum unterteilt in den Tatbestandsirrtum und den Erlaubnistatbestandsirrtum. Beim Tatbestandsirrtum verkennt der Täter den Sachverhalt, aufgrund dessen der objektive Tatbestand eines Vorsatzdeliktes als erfüllt anzusehen ist. Dabei sind zwei Varianten denkbar: Der Täter nimmt einen Sachverhalt an, bei dem überhaupt kein Straftatbestand erfüllt wäre, oder der Täter nimmt einen Sachverhalt an, bei dem ein anderer als der tatsächlich gegebene Straftatbestand erfüllt wäre. Als Folge beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat (Art. 13 Abs. 2 StGB). Um eine irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts handelt es sich beim Erlaubnistatbestandsirrtum. Hier nimmt der Täter irrtümlich einen Sachverhalt an, bei dessen Vorliegen die objektiven Voraussetzungen eines anerkennten Rechtfertigungsgrundes erfüllt wären. Ein Beispiel dazu wäre, dass der Täter irrtümlicherweise annimmt, dass er in einer Notwehrsituation handelt, obwohl eine solche gar nicht gegeben ist. Auch in diesem Fall folgt keine Bestrafung aus dem objektiv erfüllten Vorsatzdelikt (Art. 13 Abs. 2 StGB).

Sonderfälle des Tatbestandsirrtum

Error in persona

Bei einem error in persona irrt sich der Täter nicht über die rechtliche Qualifikation des Tatobjekts, sondern nur über dessen konkrete Identität. Es handelt sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der den Vorsatz des Täters nicht entfallen lässt. Es folgt eine Bestrafung aus dem vollendeten Vorsatzdeliktes. Beispielsweise will der Täter in diesem Augenblick genau die Person verletzen, um deren Hals er gerade von hinten die Hände legt. Sein Vorsatz bezieht sich auf die Person, auch wenn er innerlich denkt, es handele sich um eine andere Person. Das Objekt, was er tatsächlich angreift und das Objekt, was er eigentlich angreifen will, ist identisch und somit gleichwertig. Somit ist der Irrtum irrelevant.

Aberratio ictus

Hierbei tritt der Taterfolg nicht an dem vom Täter angezielten Tatobjekt ein, sondern an einem anderen Tatobjekt, womit der Täter nicht gerechnet hat. Der Täter wird des Versuchs bezüglich des angezielten Objekts und gegebenenfalls des Fahrlässigkeitsdelikts bezüglich des getroffenen Objekts bestraft. A möchte zum Beispiel B erschiessen und zielt diesen mit der Pistole an. Plötzlich läuft jedoch der C in die Schusslinie und wird getroffen. A macht sich der versuchten Tötung an B schuldig und der fahrlässigen Tötung an C.

Irrtum über den Kausalverlauf

Bei diesem Irrtum irrt sich der Täter über die Art und Weise, in der es zu dem von ihm gewollten Deliktserfolg kommt. Bloss geringfügige Abweichungen im Geschehensablauf können den Täter nicht entlasten. Ein Irrtum über den Kausalverlauf ist immer unerheblich, wenn der tatsächliche Geschehensablauf nicht derart aussergewöhnlich war, dass mit ihm schlicht nicht zu rechnen war. Ein Beispiel: A stösst B von einer Brücke in einen Fluss, um ihn zu ertränken. B stirbt bereits vor dem Auftreffen im Wasser durch das Aufschlagen auf einen Stein, bei dem er sich das Genick bricht. Auch wenn es eine Abweichung im Geschehensablauf darstellt, ist diese Abweichung nur unwesentlich.

Irrtum über den Vollendungszeitpunkt

Der Täter nimmt hier zwei Handlungen vor, wobei er irrtümlich davon ausgeht, den deliktischen Erfolg bereits mit der ersten bzw. erst durch die zweite Handlung erreicht zu haben. Nach einer Ansicht liegt ein unwesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf vor. Nach einer zweiten Ansicht kommt es darauf an, ob beide Handlungen von vornherein geplant waren: Falls ja, erfolgt eine Bestrafung wegen des vollendeten Vorsatzdeliktes, falls nicht erfolgt die Bestrafung nach einem versuchten Vorsatzdelikt in Verbindung mit einem Fahrlässigkeitsdelikt. Zum Beispiel schlägt A den B zusammen und erwürgt ihn anschliessend. A nimmt an, dass B durch die Schläge nur betäubt wurde und er ihn durch das Würgen tötete. Jedoch starb B bereits an den Schlägen des A. Je nach dem welcher Ansicht gefolgt wird, ist A der vorsätzlichen Tötung (evtl. Mord) oder der versuchten Tötung in Verbindung mit der fahrlässigen Tötung strafbar. Falls sie Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der verschiedenen Sonderfälle haben, klären Sie unsere Anwälte und Anwältinnen für Strafrecht in St. Gallen, Zürich oder Frauenfeld gerne genauer auf.

Verbotsirrtum (Art. 21 StGB)

Der Täter handelt beim Verbotsirrtum tatbestandsmässig und rechtswidrig, geht aber aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes davon aus, sich rechtskonform zu verhalten. Nicht schuldhaft ist, wer nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält. Wenn der Irrtum vermeidbar war, mildert das Gericht die Strafe. Beispiel: Der Mann A und seine Ehefrau B stammen aus dem marokkanischen Kulturkreis und leben erst seit einigen Monaten in der Schweiz. Als A die B zum wiederholten Male schlägt, informieren die Nachbarn die Polizei. A erklärt, er habe geglaubt, dieses Verhalten sei aufgrund eines ehelichen Züchtigungsrechts gerechtfertigt.