In gewissen Fällen ist «Nichtstun» strafbar. Art 11 StGB legt fest, wann dieses «Nichtstun» zu einer Strafe führen kann. In diesem Artikel wird aufgelistet, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz das Unterlassen unter Strafe stellt.
Die Unterlassungsdelikte werden unterteilt in echte Unterlassungsdelikte und unechte Unterlassungsdelikte. Ein echtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn ein bestimmtes Nichthandeln im Straftatbestand selbst ausdrücklich erfasst wird. Ein Beispiel dafür wäre die Aussetzung i.S.v. Art. 127 Alt. 2 StGB. Ein Straftatbestand, der für sich gesehen nur ein aktives Tun erfasst, wird ausnahmsweise durch ein Nichtstun verwirklicht (z.B. Art. 111 StGB i.V.m. Art. 11 StGB). Bei der Abgrenzung können Ihnen Anwälte und Anwältinnen für Strafrecht in St. Gallen, Zürich und Frauenfeld behilflich sein.
Vorerst muss abgeklärt werden, ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt. In der Praxis wird dafür das Subsidiaritätsprinzip angewendet. Dieses besagt, dass falls sich irgendeine äusserlich feststellbare menschliche Handlung (= Energieaufwand, Vornahme einer Körperbewegung) kausal in einem tatbestandlichen Erfolg veräussert, liegt ein Tun vor. Sodann ist immer zuerst zu prüfen, ob dieses Tun tatbestandsmässig, rechtswidrig und schuldhaft ist. Die Prüfung des Unterlassens ist nur dann erforderlich, wenn das Tun keine strafrechtliche Verantwortung begründet oder wenn das Unterlassen eventuell eine weiterreichende Haftung begründet. Ob konkret ein Tun oder Unterlassen vorliegt, können Ihnen Anwälte und Anwältinnen für Strafrecht in Zürich, Frauenfeld und St. Gallen beantworten.
Ein Unterlassen ist nur strafbar, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht – die sog. Garantenstellung (Art. 11 Abs. 2 StGB). Mögliche Quellen für eine Garantenstellung können ein Gesetz (lit.a), ein Vertrag (lit. b) oder eine freiwillig eingegangene Gefahrengemeinschaft (lit. c) sein oder aufgrund eines vorausgegangenen, pflichtwidrigen gefährdeten Tuns (lit. d) entstehen. Selbst wenn eine gesetzliche Bestimmung eine Pflicht zur Abwendung von Gefahren statuiert, entsteht deswegen nicht automatisch eine strafrechtliche Garantenstellung. Eine Ausnahme davon ist die Garantenstellung aus Gesetz der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern (Art. 301 f. ZGB). Sonst ist die Ableitung einer Garantenstellung aus einer gesetzlichen Regelung unter Einbeziehung der konkreten Umstände stets besonders zu begründen. Verträge, die den Schutz des betroffenen Rechtsgutes als Hauptpflicht enthalten, begründen eine Garantenstellung aus Vertrag (z.B. Babysitter, Bergführer). Eine freiwillig eingegangene Gefahrengemeinschaft ist der Zusammenschluss zur Abwehr von Gefahren bei einer gemeinsamen Unternehmung in der Erwartung der Beteiligten, diese Gefahren dank des Zusammenschlusses besser zu meistern (z.B. Himalaya-Expedition). Nach dem Ingerenzprinzip besteht eine Garantenstellung für denjenigen, der eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut schafft oder vergrössert. Dieser muss alles Zumutbare vorkehren, um zu verhindern, dass die Gefahr sich in einer Verletzung aktualisiert (sog. Gefahrensatz). Die Qualifizierung einer Garantenstellung kann unter Umständen schwierig sein. Weitere Informationen können Ihnen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen für Strafrecht in Frauenfeld, Zürich und St. Gallen geben.
Hinzu kommt, dass der Täter eine physisch-real mögliche Abwendungshandlung nicht vorgenommen hat. Es muss also eine Handlung gegeben haben, die der Täter hätte vornehmen können, um den Erfolg abzuwenden. Dabei sind die individuellen Fähigkeiten des Täters zu berücksichtigen. Das Recht kann dabei von niemandem Unmögliches verlangen.
Zudem muss eine hypothetische Kausalität zwischen der Unterlassung und dem Erfolg gegeben sein. Die Formel zur Feststellung der natürlichen Kausalität versagt bei den Unterlassungsdelikten, da gar keine Handlung vorliegt, die hinwegzudenken wäre. Zu prüfen ist hingegen, ob der Erfolg auch eingetreten wäre, wenn die gebotene Handlung hinzugedacht wird. Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie ist der Erfolg dem Täter nur dann zurechenbar, wenn die gebotene Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte. Die Risikoverringerungstheorie besagt, dass der Erfolg dem Täter schon dann zurechenbar ist, wenn die gebotene Handlung das Risiko des Erfolgseintritts deutlich herabgesetzt hätte. Welche Theorie welchen Einfluss auf die Beurteilung der Tat hat, können Ihnen Anwälte oder Anwältinnen für Strafrecht in der Schweiz beantworten.
Zuletzt muss die Vorwurfsidentität gegeben sein (Art. 11 Abs. 3 StGB). Die Vorwurfsidentität besagt, dass nur derjenige gestützt auf den entsprechenden Straftatbestand strafbar ist, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte.
Des Weiteren muss der subjektive Tatbestand (Vorsatz), die Rechtswidrigkeit und die Schuld vorliegen. Auskunft zu den weiteren Voraussetzungen erhalten Sie bei Anwälten oder Anwältinnen für Strafrecht in St. Gallen, Zürich und Frauenfeld. Dann ist der Täter des unterlassenen Deliktes schuldig.