Entgegen der weitverbreiteten Ansicht der Gesellschaft werden viele Strafrechtsfälle nicht in einem ordentlichen Verfahren vor Gericht erledigt, sondern mittels Strafbefehls. Die praktische Bedeutung des Strafbefehlsverfahrens ist demnach enorm. Mehr als 95 % aller Strafverfahren werden mittels eines Strafbefehls beendet. Der Strafbefehl ist eine Art «Urteilsvorschlag» der Staatsanwaltschaft an die beschuldigte Person. Das Strafbefehlsverfahren ist ein vereinfachtes, schriftliches, summarisches Verfahren, mit dem die Masse der kaum bestrittenen und weniger schwerwiegenden Straffälle speditiv erledigt wird. Das Verfahren trägt durch seine Kürze dem Beschleunigungsgebot gemäss Art. 54 StPO Rechnung.
Die Kompetenz zum Erlass eines Strafbefehls liegt gemäss Art. 352 Abs. 1 StPO bei der Staatsanwaltschaft. Es gibt keine ordentliche Anklage und eine anschliessende Hauptverhandlung vor einem unabhängigen Gericht. Auch auf ein Beweisverfahren wird meistens verzichtet. Der Strafbefehl ist somit kein erstinstanzliches Sachurteil, sondern ein Vorschlag zu einer aussergerichtlichen Erledigung der Strafsache. Gegen den staatsanwaltschaftlich erlassenen Strafbefehl kann die beschuldigte Person innert zehn Tagen Einsprache erheben und somit eine gerichtliche Beurteilung erzwingen. Bleibt die Einsprache jedoch aus, wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteil.
Durch die rasche Erledigung hat das Strafbefehlsverfahren jedoch nicht nur Vorteile für die betroffene Person und die Justiz, sondern birgt auch einige rechtsstaatliche Probleme. Beispielsweise wird der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde im Strafbefehlsverfahren eine richterliche Kompetenz eingeräumt. Gemäss dem Anklagegrundsatz nach Art. 9 StPO erhebt die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht eine Anklage gegen die beschuldigte Person. Bei einem Strafbefehlsverfahren wird jedoch keine Anklage bei einem zuständigen unabhängigen Gericht erhoben, sondern die Staatsanwaltschaft selbst stellt den Strafbefehl an die entsprechende Person aus. Bei einer ordentlichen Anklage mit anschliessender Hauptverhandlung findet auch ein Beweisverfahren statt und der oder dem Beschuldigten wird ein/e VerteidigerIn zur Seite gestellt. Bei einem Strafbefehlsverfahren entfallen all diese Punkte. Ob ein Strafbefehlsverfahren im vorliegenden Fall sinnvoll wäre, sollte dementsprechend unbedingt mit einer Anwältin oder einem Anwalt für Strafrecht in St. Gallen, Zürich oder Frauenfeld abgeklärt werden.