Als Reaktion auf die teilweise gewaltsamen öffentlichen Ausschreitungen, Sachbeschädigungen und Missachtungen der Massnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in der St. Galler Innenstadt sprach die Polizei St. Gallen am Sonntag, den 2. April 2021 650 Wegweisungen aus. Den Betroffenen ist es untersagt, sich innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten derselben in den St. Galler Stadtgebieten aufzuhalten. Einige der Betroffenen wehren sich nun anhand Beschwerden und erste Wegweisungen wurden bereits wieder durch die Stadtpolizei aufgehoben, sofern glaubhaft dargelegt werden konnte, dass die Wegweisung zu Unrecht ausgesprochen worden war. Beobachter und Beobachterinnen des Geschehens stellen sich nun die Frage, ob die polizeilichen Massnahmen zulässig und verhältnismässig waren.
Gemäss Art. 29bis Abs. 1 Polizeigesetz (PG) des Kantons St. Gallen können Wegweisungen und Fernhaltungen in der Regel für nicht länger als 24 Stunden ausgesprochen werden. Eine Verlängerung der Wegweisung ist nur in besonderen Fällen, also im Wiederholungsfall oder in schwerwiegenden Fällen möglich (Art. 29bis Abs. 2 PG). Darüber hinaus müssen langfristige Fernhaltungen schriftlich angeordnet und begründet werden. Weiterhin steht die Polizei in der Pflicht, die Betroffenen auf die Gründe und die Dauer, den räumlichen Bereich, die Folgen der Missachtung der Anordnung und die Anfechtungsmöglichkeiten aufzuklären. Hintergrund ist, dass die Wegweisung einen Einschnitt in die Grundrechte der Betroffenen darstellt und somit angemessen begründet sein muss.
Zunächst ist somit festzuhalten, dass die Wegweisung der Stadtpolizei St. Gallen durchaus zulässig und verhältnismässig gewesen ist, unter anderem aufgrund der Schwere der Ausschreitungen am Vorabend des 4. Aprils, welche sogar die Beiziehung von Polizeikräften aus benachbarten Kantonen erforderte. Die Verhältnismässigkeit der Dauer der Wegweisung kann allerdings infrage gestellt werden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in den sozialen Netzwerken bereits zu Folgehandlungen aufgerufen wurde, ist auch dies zu bejahen.
Die von den Betroffenen nicht mehr zu betretenden Gebieten werden in der Praxis in Pläne eingezeichnet. Personen, deren Zugang zu Wohn-, Schul- oder Arbeitsorten hierdurch eingeschränkt wird, fallen unter eine Ausnahmeregelung. Die Betroffenen werden sodann verpflichtet, sich auf direktem Wege an ihre Unterkunft, ihre Schule oder ihren Arbeitsort zu begeben.
Bei einer Anfechtung der Verfügung steht grundsätzlich die verfügende Behörde unter Beweislast. Im konkret vorliegenden Fall sieht der Kanton St. Gallen eine Beweiserleichterung vor, indem er den begründeten Verdacht des Vorliegens einer Störung oder Gefährdungssituation gelten lässt. Im Rahmen eines Verfahrens haben die Betroffenen ein Anrecht auf eine vorgängige Stellungnahme. Die von ihnen offerierten Beweise sind von der entscheidenden Instanz anzunehmen, sofern sie nicht als nicht erforderlich zurückgewiesen werden können.
Dementsprechend hätten die Jugendlichen sämtliche Einwände gegen den Erlass der Verfügung vorgängig anbringen müssen. Sollte ihnen dies nicht möglich gewesen sein, kann die Verfügung im Nachgang nur noch durch das Ergreifen eines Rechtsmittels angefochten werden. In einem solchen Fall würde durch das Justizdepartement geprüft, ob die Aussagen der Jugendlichen glaubwürdiger als diejenigen der Polizei sind. Sämtliche Beweise und Aufzeichnungen der Polizei würden in einem solchen Fall geprüft.
Abschliessend ist festzuhalten, dass ein Vorgehen gegen die Verfügung von den individuellen Voraussetzungen der betroffenen Person abhängen. Ob eine Anfechtung der Verfügung sinnvoll und lohnenswert ist, kann eine Anwältin oder ein Anwalt in St. Gallen prüfen.